In Hanja Bosseks Soft. Body. Home. steht Selfcare an erster Stelle. Und wieso Entspannung Übungssache ist, erfährst du in unserem Interview.
Hanja Bossek hat zwar einen Master in Ethnologie, jedoch schnell gemerkt, dass sie die wissenschaftliche Karriere nicht erfüllt. Ein richtiges „Coming home”-Gefühl, wie sie selbst sagt, hatte Bossek in ihrer zusätzlichen Ausbildung zur Entspannungstrainerin. Bald darauf kreierte sie mit dem Soft. Body. Home. einen sicheren, liebevollen Raum für dicke Menschen, in dem sie sich fallen lassen und zu sich kommen können.
Gab es einen Punkt in deinem Leben, an dem dir bewusst wurde, dass du an deiner Selbstwahrnehmung und dem gesellschaftlich verbreiteten „Optimierungswahn“ etwas ändern solltest? Wie hast du das dann angefangen?
Es war tatsächlich kein schleichender Prozess, sondern eine ganz bewusste Entscheidung im Frühling 2021. Hier hatte ich schon viele “Ernährungsumstellungen” und Sportprogramme hinter mir und damit viel Erfahrung mit ständigem Zu– und Abnehmen. Ich glaube so richtig “klick” hat es gemacht, als ich mir vor dem Spiegel eine Hose anziehen wollte, bei der klar war, sie würde zu eng sein. Ich hab mich so fertig gemacht, hatte direkt einen Kloß im Hals, richtige Panik. Da dachte ich: Was mache ich hier? Warum bin ich so böse zu mir? Nicht mein Körper muss für die Kleidung gemacht sein, sondern die Kleidung für meinen Körper.
Dann bin ich ins kalte Wasser gesprungen. Ich habe das Experiment gewagt: Was ist, wenn du mal alle internalisierten Essensregeln überhörst? Was ist, wenn du Sport machst, wenn du wirklich Lust hast? Parallel habe ich mich mit meinem Zyklus auseinandergesetzt und das hat mir auch sehr geholfen, meinem Körper mal ganz genau zuzuhören, statt Regeln zu befolgen. Instagram war dabei auch eine große Hilfe. Ich bin Menschen gefolgt, die sich mit intuitiver Ernährung auskennen und insbesondere Frauen, die mehrgewichtig sind. Da hab ich gemerkt: Ich bin doch auch mit meinem Fett schön! Und gesund kann ich auch sein, ohne, dass da eine bestimmte Zahl auf der Waage steht.
Hast du ein Mantra, das dir auf deiner Self-Acceptance-Journey geholfen hat?
Ein richtiges Mantra vielleicht nicht, aber eine Erkenntnis war super: Ich stehe jeden Tag anders zu meinem Körper. Mal bin ich neutral, mal finde ich mich wahnsinnig sexy, mal fühle ich mich unattraktiv. Es muss nicht immer alles super sein – genau wie bei unseren Gefühlen. Wut und Trauer sind genauso Teil von uns wie Lust und Freude. Es ist alles ständig im Wandel und im Fluss und das im Hinterkopf zu behalten finde ich so bereichernd.
Meinst du, man kann sich als dicker Mensch lieben, ohne sich mit seinen verinnerlichten fettphobischen Strukturen auseinandergesetzt zu haben? Muss ich meinen Körper überhaupt lieben?
Schon mal ein Disclaimer: Du musst gar nichts. Du kannst auch sagen, dass du deinen Körper weder besonders toll, noch besonders schlecht findest. Der Prozess ist so individuell, ich kann hier nur von meiner Erfahrung berichten. Ich musste mir klar machen, dass ich selbst nicht nur mich, sondern auch dicke Menschen in meiner Umgebung verurteile. Ich bin, wie so viele, mit eindeutigen negativen Glaubenssätzen zum Thema Mehrgewicht aufgewachsen. Die sind nicht plötzlich weg. Für mich ist die Antwort auf die Frage also: Ja, auf jeden Fall. Ich musste mir klar machen, dass mir doch aufgrund meiner Erziehung und Sozialisation keine andere Wahl geblieben ist, als meinen Körper abzulehnen. Dieses Muster aufzubrechen – durch Änderung meiner Sehgewohnheiten zum Beispiel – war zentral dafür, meine Liebe zu meinem Körper wiederzufinden. Denn ich glaube, wir haben alle eine kleine Liebe zu uns, von Anfang an. Aber sie wird vergraben durch toxische gesellschaftliche und familiäre Erwartungen.
Wie kam es dazu, dass du dich mit Entspannung beschäftigt hast?
Ich war eigentlich seit Beginn meines Lebens unter einem diffusen Dauerstress. Intuitiv habe ich mit ca. 10 Jahren das erste Mal meditiert. Einfach die Augen geschlossen, im Garten sitzend, durchgeatmet. So richtig wichtig wurde Entspannung während meiner Psychotherapie. Ich habe mir Apps runtergeladen mit angeleiteten Einheiten und habe schnell gemerkt, wie wichtig es ist sich bewusst Zeit für sich zu nehmen und mal abzuschalten. Dann habe ich auch gemerkt, dass es mir dabei hilft mich selbst besser kennenzulernen. Mal reinzuhorchen, was in mir vorgeht. Mit mir selbst ins Gespräch zu gehen, Gefühle wahrzunehmen und vielleicht auch Lösungen für problematische Situationen zu finden. Dazu kam, dass mir schon oft eine beruhigende Stimme attestiert wurde und ich anfing im kleinen Rahmen Entspannungsstunden zu geben. Darauf folgte die Ausbildung.
Wie ist daraus dann das Soft.Body.Home und die Self-Dive-Session entstanden?
Entspannungsarbeit an sich ist ja erstmal körperneutral. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass sich dick_fette Menschen nochmal weniger Ruhezeiten einräumen, da das Stigma der Faulheit existiert. Ich habe meine Fähigkeit Menschen zu entspannen damit kombiniert, sie gleichzeitig zu empowern. Denn diese beiden Dinge gehen sehr gut miteinander. Soft.Body.Home steht dafür, seine eigenen Weichheit, Sanftheit und Verletzlichkeit anzuerkennen und sich selbst ein Zuhause zu sein. Wenn wir bei uns sind, spüren wir z.B. unsere Grenzen viel besser und das ist empowerment pur.
Die Self Dive Sessions sind die Stunden, die ich über Sophie’s Safe Space anbiete. An dieser Stelle also ein Shoutout an die liebe Sophie. Hier gibt es zum Einen pure Entspannungsstunden, aber auch Sessions mit einem bestimmten Thema, wie “Chubby Glow”, wo die Teilnehmenden sich und ihre Falten, Polster, Narben und alles, was zu ihnen gehört strahlen lassen können. Die Self Dive Sessions sind die Stunden, die ich über Sophie’s Safe Space anbiete. An dieser Stelle also ein Shoutout an die liebe Sophie. Hier gibt es zum Einen pure Entspannungsstunden, aber auch Sessions mit einem bestimmten Thema, wie “Chubby Glow”, wo die Teilnehmenden sich und ihre Falten, Polster, Narben und alles, was zu ihnen gehört strahlen lassen können.
Wie genau sieht eine Session bei dir aus?
Eine Self Dive Session startet immer mit einem kurzen Ankommen. Hier kannst du Fragen stellen und/oder teilen, wie es dir geht. Manchmal muss was raus, bevor man die Augen schließt.Was dann folgt, nenne ich den ‘Self Dive’. Ich leite die Teilnehmenden in eine Entspannung, die voll und ganz genüsslich vertieft wird. Was dann passiert ist je nach Stundenthema unterschiedlich. Entweder es gibt 30 Minuten pure angenehme Entspannung oder ich gebe die Möglichkeit sich auf eine kleine Reise zu begeben, sich mit dem eigenen Bauch zu unterhalten, sich strahlen zu lassen und und und … Die letzten 15 Minuten der Stunde sind für einen freiwilligen Austausch zu dem vorangegangenen ‘Self Dive’ gedacht. Generell stelle ich den Teilnehmenden frei, die Kamera einzuschalten bzw. sich zu Wort zu melden.
Wie kann ich es schaffen, die Ruhe aus einer Session mit dir auch in meinen Alltag mitzunehmen?
Was in den Sessions angewandt wird, kann man auch in Mini-Form immer wieder im Alltag praktizieren. Das ganz simple tiefe Atmen zum Beispiel. In manchen Sessions kreierst du dir Bilder der Ruhe, die du dann ebenfalls immer wieder abrufen kannst. Trotzdem sage ich gerne: Auch, wenn das nicht klappt, war die Stunde doch was wert. Entspannung braucht Übung. Das müssen wir erstmal verstehen, wie das überhaupt funktioniert.
Viele gesundheitliche Probleme hängen ja mit Stress zusammen, und der Arzt meint dann immer, man solle diesen reduzieren. Was wäre deine Empfehlung?
Stress zu reduzieren ist meist ein guter Tipp und bei mir war Stress oft der Hauptfaktor für Magen–Darm-Probleme, Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen. Stress war auch dafür verantwortlich, dass ich mich nicht mehr gut mit mir verbinden konnte. Am Anfang ist, finde ich, wichtig: Kleine Schritte machen. Ein (!) bewusstes Ein- und Ausatmen am Morgen ist schon richtig super. Kurz einchecken und sich selbst “Hallo” sagen. Step by step ein Gefühl für sich bekommen, im eigenen Tempo. Manchmal wissen wir gar nicht, wann wir überhaupt gestresst sind oder woran es liegen könnte. Die Erkenntnis darüber ist schon Gold wert.
Wenn die negativen Gedanken kreisen und man merkt man befindet sich gedanklich in einer Abwärtsspirale, wie kann man dem am besten entgegenwirken und wieder zu sich finden?
Atmen, atmen und nochmals atmen. Das einfachste und effektivste Tool überhaupt. Zumindest für den Moment. In entspannten Phasen kann man sich auch ein Mantra oder ein inneres Bild zurechtlegen, das man in solchen schwierigen Momenten erscheinen lässt. Das kann als Stopschild fungieren.
Wenn die Gedanken jedoch bedrohlich werden, nie enden wollen, man sich zurückzieht und leidet: Therapie. Entspannungsarbeit kommt natürlich auch an ihre Grenzen. Ich finde Entspannungsarbeit super als Begleitung zu einer Psychotherapie.
Dick sein wird ja in der Gesellschaft leider immer noch oft mit Faulheit gleichgesetzt, und wenn man sich als dicke Person dann Ruhe und Entspannung nimmt, werten man selbst und andere das oft als Unproduktivität. Hast du einen Rat, wie man dieses Vorurteil für sich umpolen kann? Was würdest du erwidern?
Ganz ehrlich – eine Zauberformel, was man da erwidern kann, kenne ich nicht. Manche Menschen wollen das so glauben und da kann man nicht viel dran ändern. Ich finde auch, dass Ruhe und Entspannung generell in unserer Gesellschaft, in der Leistung noch einen sehr hohen Stellenwert hat und auch ein Bewertungskriterium ist, einen schlechten Ruf hat. Aber was ist die Konsequenz? Burn–Out, Depressionen, diverse stressbedingte Erkrankungen. Das betrifft jeden. Und ja, mehrgewichtige Menschen trauen sich tendenziell weniger, sich Pausen zu nehmen.
Für mich war bei meinem Weg wichtig: Ich fange nicht an, gegen die Personen zu kämpfen, die mir das vorwerfen. Ich fange an mich selbst darin zu bestärken, dass ich es mir wert bin. Dass ich wertvoll bin und ich mich somit um mein persönliches Wohlbefinden kümmere. Das geht natürlich nicht von Jetzt auf Gleich. Und der Weg ist so individuell: Was tut mir gut? Wobei komme ich richtig runter? Jeder beantwortet das anders. Ich wusste die Antwort darauf erstmal gar nicht und habe ausprobiert, wann mein Körper und Geist mir sagen: Ohja, jetzt lasse ich los. Und wenn du dann merkst, was diese Auszeiten dir bringen, dann können dumme Sprüche besser abprallen.
Kurze Entspannung für Zwischendurch
Verbinde dich mit deinem Bauch. Lege eine Hand auf deinen Bauch und die andere auf deine Brust. Atme drei Mal tief durch die Nase ein und den durch Mund aus. Schließe deine Augen oder lasse sie leicht geöffnet und fixiere einen Punkt vor dir auf dem Boden. Fühle, wie deine Hände deinen Bauch und deinen Herzraum wärmen (oder kühlen, je nach dem 😉 ). Atme in deinem Atemfluss weiter. Bleibe mit deiner Aufmerksamkeit bei diesen beiden Berührungsflächen und beobachte, welche Gedanken und Gefühle auftauchen. Zum Schluss kannst du dich fragen: Was brauche ich gerade? Lass eine Antwort zu dir kommen – egal, ob sie dir abwegig erscheint. Nimm wahr. Dann nimm nochmal einen tiefen Atemzug durch die Nase ein und den Mund aus. Löse deine Hände und öffne deine Augen.
Über Eversports kannst du Hanjas Bossek Self-Dive-Sessions buchen. Zusätzlich finden regelmäßig Workshops statt, in denen du dich ausgiebiger mit dir selbst beschäftigen kannst. In ihrem Spotify-Podcast “Soft Body Stories” spricht sie unter anderem über unser, vom eigenen Elternhaus geprägtes Körperbild, Dicksein und Schwangerschaft. Dabei gönnt sie uns aber auch immer wieder kurze Entspannungseinheiten im Audioformat. Hier ist für jede:n etwas dabei!
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