Wie es ist in der Krise allein zu sein.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben. Dieser Ausschnitt aus Rilke’s Herbsttag kommt mir seit ein paar Wochen immer wieder in den Sinn. Zwar ist es nicht Herbst, sondern der schönste Frühling, aber zur gegenwärtigen Situation passt es trotzdem ganz gut. Ich war lange nicht im Mood diesen Artikel zu schreiben. Man will ja nicht unbedingt auch noch mit der Nase darauf gestoßen werden, dass man Single ist. Aber dann dachte ich, vielleicht ist meine momentane Gefühlslage genau die Richtige dafür. Noch nie war mir mein Beziehungsstatus so präsent wie jetzt und noch nie habe ich so viel darüber nachgedacht. Klar, keine Dates, kein Glas Wein nach der Arbeit mit der besten Freundin, keine Reisen, keine Event – kurz: einfach keine Zerstreuungen. Man ist gezwungen, sich mit sich selbst zu beschäftigen, nachzudenken, reflektieren. Möglicherweise nicht das schlechteste, nach einer gewissen Zeit jedoch auch ziemlich zermürbend.
Also doch wieder zurück zur guten alten Ablenkungsstrategie, auf die kann man sich wenigstens verlassen. Projekt: Wohnung. Ich wollte doch schon lange mein Badezimmer aufmöbeln. Neuen Duschvorhang aus der Schweiz bestellt, passende Handtücher gekauft, Duftkerzen aufgestellt. Sieht doch schon ganz anders aus. Nächstes To do: Kleiderschrank neu organisieren – das dürfte etwas länger dauern. Altes raus, nach T-Shirts, Tops und Pullovern sortieren, neue Outfitkombinationen ausdenken – hey, das macht sogar Spaß. Beim Aufräumen die DVD’s von Beverly Hills 90210, meiner alten Lieblingsserie aus Teenietagen, gefunden. In Nostalgie versinken, genau was ich jetzt will – Perfekt, das Wochenende ist gerettet. Klappt ja ganz gut mit der Ablenkung.
Das war allerdings auch erst Woche zwei. In Woche drei kommt mir meine Wohnung auf einmal ziemlich klein vor und ich wünschte ich hätte einen Balkon. Aber wenigsten liegt der englische Garten vor meiner Haustür. Lange Spaziergänge gehören ab jetzt zum festen Bestandteil meines Tagesablaufs. Ebenso wie noch längere Telefonate mit meiner Schwester. Die Telefonleitungen glühen heiß. Während ich mich alleine fühle und wünschte ich hätte eine Schulter zum anlehnen, wünscht sie sich, sie wäre mal alleine und könnte machen, was sie will. Mit einem Mann im Home Office und zwei Kindern, die zuhause unterrichtet werden müssen, ist es wohl auch nicht immer einfach – seh ich ein. Auch in Krisenzeiten will man immer das, was man nicht hat. Während sie damit beschäftigt ist, alle unter einen Hut zu bekommen, überlege ich mir, wie ich meine Zeit möglichst sinnvoll vollstopfen kann, um möglichst wenig darüber nachzudenken zu müssen, dass ich seit Tagen, außer über zoom, übrigens mein neues Lieblingstool, niemanden mehr gesehen habe. Aber ich fand, es klappt eigentlich ganz gut. Nicht zu viel nachdenken, die Sache nicht zu nah an mich ran lassen. Dachte ich zumindest.
An einem Nachmittag in Woche X schlag mich tot, schickte eine Freundin ein Video über Whatsapp. Ich klickte es an und räumte dabei meine Spülmaschine aus. Die Arie Va pensiero aus Verdis Nabucco ertönte und ich sehe aus dem Fenster, wie meine Nachbarn, ein älteres Ehepaar, eine volle Einkaufstüte mit einem Seil zu ihrem Balkon in den zweiten Stock hinaufziehen, die ein junger Mann unten festgebunden hat. Ich beobachte diese Szenerie und merkte wie mir Tränen in die Augen stiegen. Schon im nächsten Moment stehe ich in der Küche mit meiner Keramikmüslischüssel in der Hand und weinte hemmungslos. Nimmt mich alles wohl doch mehr mit, als ich dachte.
Nachdem ich den Heulkrampf überwunden hatte und die Müslischale mit dem restlichen Geschirr im Schrank eingeräumt war, kommen Fluchtgedanken in mir hoch. Raus hier, Menschen sehen, reden, sonst drehe ich durch. Ich schnappe mir meinen Weekender, schmeiße ein paar Jeans, T-Shirts und meine Zahnbürste rein, Laptop nicht vergessen, und fahre zu meinen Eltern auf’s Land. Das kleine Dorf in Mittelfranken, aus dem ich vor knapp zweieinhalb Jahren nicht schnell genug weg konnte, kommt mir jetzt wie der perfekte Zufluchtsort vor. Als ich im Auto sitze, komme ich mir ein bisschen albern vor. Schließlich bin ich eine erwachsene Frau, die sich nicht wegen jedem kleinen Gefühlsausbruch in die Obhut von Mama und Papa retten kann. Aber der Wunsch nach Gesellschaft ist in diesem Moment größer, also drücke ich auf’s Gas und bin zwei Stunden später zuhause. Im Garten sitzen, neue Energie tanken und ja, ich gebe es zu, sich auch ein bisschen verwöhnen lassen. Arbeiten kann ich schließlich auch von hier aus. Wie es jedoch wirklich ist, Home Office aus dem alten Kinderzimmer zu betreiben, dazu bald mehr.