Das volle Interview aus der aktuellen Print Ausgabe und noch mehr.
Modedesignerin, Stylistin, TV-Moderatorin, Kostümbildnerin, Autorin und Body-Positivity-Aktivistin – Miyabi Kawai hat einiges auf dem Kasten. Wir trafen das Multitalent zum Interview und sprachen mit ihr über Selbstliebe, Feminismus und Plus-Size-Mode. Im letzten Jahr designte Miyabi Kawai vier Kollektionen für das Plus-Size-Label sheego. In diesem Jahr folgen vier weitere.
Denkst du beim Designen eher an die Kundin oder fließt dein eigener Geschmack mit ein?
Ich habe natürlich einen starken Bezug dazu, aber wenn ich Mode für sheego designe, denke ich nicht primär an mich, sondern an das, was ich mit meiner Mode ausdrücken will. Mich interessiert das, was mich bisher an der Plus-Size-Mode geärgert hat. Dass es immer nur gedeckte Töne gab und matte Materialien, dass es immer darum ging, dass es vorteilhaft aussieht. Und vorteilhaft bedeutet übersetzt nichts anderes als „so schlank wie möglich“, was impliziert, dass dies das Ideal ist. Meine Kollektionen sind darauf ausgelegt, Sichtbarkeit zu generieren, Selbstbewusstsein zu fördern, vielleicht auch ein bisschen Mut zu fordern und Frauen in jeder Konfektionsgröße zu feiern.
Gibt es einen Tipp, den du pauschal allen Curvy Frauen geben kannst?
Ich bin kein Fan von pauschalen Tipps, weil alle Frauen unterschiedlich sind. Aber wenn ich einen pauschalen Tipp gebe, dann ist das der, dass jeder absolut in Ordnung ist, so wie er ist und man eher am Kopf arbeiten sollte, als an den vermeintlichen Problemzonen – denn das ist die einzige Problemzone, die wir haben.
Was bedeutet Selbstliebe für dich?
Für mich ist es ganz wichtig, dass Selbstliebe kein erneuter Druck ist. Frauen, die ihr Leben lang mit sich gekämpft haben, denen kannst du nicht einfach befehlen: „Lieb dich selbst!“ Weil sie dann zu Recht fragen: „Wie denn? Das habe ich doch mein ganzes Leben nicht geschafft.“ Selbstliebe bedeutet für mich, diesen Druck rauszunehmen, durchzuatmen und zu sagen: „Moment mal, ich muss erst mal gar nichts!“
Du selbst erfährst gerade eine sehr starke Bewertung deines Körpers. Man liest in den Medien, dass du stark abgenommen hast. Auf Instagram kommentieren deine Follower, dass du super aussiehst. Wie findest du das?
Ich weiß, dass es lieb gemeint ist. Das ist ja auch gelernt, zu sagen: „Du siehst toll aus, hast du abgenommen?“ Aber ich würde mir wünschen, dass mein Körper nicht so kommentiert werden würde. Ich habe abgenommen, ja – aber weder durch Diät noch durch Sport. Viele Fragen, wie ich das geschafft habe. Nennen wir es beim Namen: weil ich verlassen wurde. Es ging mir nicht gut und da hat mein Körper scheinbar entschieden, es muss jetzt mal alles gehen. Aber am meisten ärgern mich die Stimmen, die sagen: „Wie kannst du denn jetzt noch Plus-Size-Mode designen?“ Als ob ich mit dem Verlust der Kilos auch die Fähigkeit verloren hätte, meinen Beruf auszuüben! Da wird die Feministin in mir sauer.
Das wäre übrigens unsere nächste Frage gewesen: Würdest du dich als Feministin bezeichnen?
Absolut! Ich finde, dass es heutzutage immer noch wichtig ist, den Feminismus voranzutreiben. Man kann ja ganz schnell mal Witze machen über Feminismus, aber man sollte sich bewusst darüber sein, dass wir beispielsweise das Wahlrecht und die Tatsache, dass wir ein eigenes Konto oder einen Reisepass haben können, Feministinnen zu verdanken haben. Und Feminismus geht nicht gegen Männer, wir wollen gar nicht mehr Rechte als Männer. Gleichberechtigung wäre nicht nur für Frauen von Vorteil. Es gibt auch ganz viele Probleme, die Männer betreffen. Männer erfahren nicht weniger, sondern einen anderen Druck. Wir Frauen werden über unser Äußeres bestimmt. Männer werden traditionell über das Versorgersein und die körperliche Überlegenheit bewertet. Im Grunde ist eine große Aufgabe des Feminismus auch, den Mann zu befreien, damit er nicht immer der Starke sein muss, damit er Gefühle zeigen darf, damit ein Mann nicht derjenige sein muss, der das Geld verdient, und so weiter.
Wie siehst du den Einfluss von Instagram auf unser aktuelles Schönheitsideal?
Ich würde Instagram oder Social Media nicht per se verteufeln, denn am Ende ist Instagram nichts anderes als ein Instrument und es geht darum, wie man mit einem Instrument umgeht – die Schwachstelle ist der Mensch. Der Mensch stellt sich gern überhöht, gefiltert und schöner dar, das ist nicht nur der Druck der Gesellschaft, sondern auch ein sehr menschlicher Zug – es wurde schon bei Ölmalereien idealisiert. Das Problem ist, dass wir mit diesen Bildern bombardiert werden und wir dadurch eine falsche Wahrnehmung von dem bekommen, was Realität ist. Aber ich glaube, es gibt eine gewisse Ermüdung, was das angeht. Ich finde Instagram beispielsweise wahnsinnig toll, weil es so viele Dichter, Töpfer, Sänger, Tänzer und Illustratoren gibt. Ich hätte es nie gedacht, aber durch Instagram habe ich meine Liebe für Keramik entdeckt (lacht).
Wie stehst du zu Filtern auf Instagram?
Ich finde Filter super. Ich bin eine Frau über 40 und ich habe nicht immer das perfekte Licht. Mit einem kleinen Weichzeichner fühle ich mich gut. Ich weiß, dass das nicht der Realität entspricht, dass ich in Wahrheit vielleicht mehr Tränensäcke habe oder dunkle Schatten unter den Augen, aber mit diesem positiven Gefühl gehe ich dann auch raus.
Du bist Halbjapanerin und Asiaten sind meist eher zierlich und schmal. Wie ist das, wenn man nicht diesem Bild entspricht?
Ich bin nicht in Japan aufgewachsen, wahrscheinlich hätte das noch mal einen ganz anderen Impact auf mich gehabt. Mit zehn Jahren fing meine Brust an zu wachsen, damals habe ich noch mit Puppen gespielt. Ich hatte schon ein A-Körbchen, war aber ansonsten noch total Kind. Mein Körper wurde sehr weiblich, was mir auch einige unschöne bis traumatische Ereignisse beschert hat – das ist sehr unjapanisch. Das Ideal meiner japanischen Mutter wäre sicher ein anderes gewesen. Mütter können schon sehr viel kaputt machen bei Töchtern, doch in der Regel tun sie das natürlich nicht, um ihr Kind zu verletzen, sondern weil sie aus ihrer eigenen Verletzung nicht herauskönnen. Keine Kritik trifft uns härter als die der Mutter. Trotzdem sollten wir lernen, dass Mütter auch nur Menschen sind und dass sie gefangen sind in ihren eigenen Erfahrungen – oder ihrem kulturellen Background in meinem Fall. Und ich habe eine Mutter, die einem die köstlichsten Süßwaren backt und dafür sorgt, dass die auch gegessen werden und einen gleichzeitig an der Tür begrüßt mit „Hast du wieder zugenommen?“.
Wenn du den Rest deines Lebens nur noch eine Sache essen könntest, was wäre das?
Das wäre ganz schrecklich! Ich will alles essen, genießen, ausprobieren und je unterschiedlicher das ist, desto besser. Ich bin ja auch mit japanischer Küche groß geworden. Japanische Küche baut darauf auf, dass man nicht ein Hauptgericht, sondern mindestens 10 Schüsseln vor sich stehen hat, wo man überall alles mögliche raus picken kann. Ich würde auch am liebsten immer vier Gerichte bestellen – ich könnte nicht alles aufessen, aber ich habe nie Lust auf nur eine Sache. Deswegen ist diese Frage für mich eine Horror-Vorstellung!
Bei unserem Shooting warst du sogar nackt vor der Kamera, wie war das für dich?
Das war gar nicht geplant, aber es war eine sehr tolle Atmosphäre, Frauke Fischer ist eine supertolle Fotografin, Mel ist eine Make-up-Artistin, die ich sehr schätze und in deren Arbeit ich sehr viel Vertrauen habe, und Carola macht sowieso wundervolle Arbeit. Ich fühlte mich in diesem Nest an tollen Frauen einfach sehr wohl und es entwickelte sich aus dieser Stimmung heraus. Letztendlich war es dann meine Idee, mich ganz pur als Frau zu zeigen. Ich hatte schon viele Angebote, mich auszuziehen, aber ich habe immer wieder gesagt, ich sehe keinen Sinn darin. Aber mit the Curvy Magazine und der Stimmung und auch mit diesem Interview, mit der Stimme, die ich nutzen kann, da hatte ich das Gefühl, dass das richtig ist.
Da können wir uns ja richtig geehrt fühlen!
Ja, könnt ihr, also ich hätte mich jetzt nicht für den Playboy ausgezogen, aber die hätten wahrscheinlich auch nicht gefragt (lacht). ◀
Produktion: Carola Niemann
Fotos: Frauke Fischer
Haare & Make-up: Mel Mercier & Nina Klein
Styling: Hendrik Schaulin