Das Wort Empathie hört und liest man gerade gefühlt überall. Aber was bedeutet es eigentlich konkret im Alltag, empathisch zu sein und wo liegt der Unterschied zum Mitgefühl?
Unsere Sozialisierung beinhaltet, dass uns beigebracht wird, beispielsweise andere Menschen zu trösten, wenn sie weinen. Oder dass man aus Höflichkeit fragt, wie es den Mitmenschen geht. Es gibt eine gewisse gesellschaftliche Etikette, wie man mit Gefühlen umgehen sollte. Weinen bedeutet Traurigkeit und Lachen bedeutet Fröhlichkeit. Emotionen lassen sich allerdings nicht so einfach in ein Muster pressen.
Mich berührt es zum Beispiel, wenn andere Menschen glücklich sind. Wenn ich bei happy ends in Filmen weine, tue ich das nicht, weil sie mich traurig machen, sondern weil ich das Glück der Charaktere nachvollziehe. Es gibt Freudentränen, Tränen der Trauer, der Traurigkeit – manche Menschen weinen, wenn sie Schmerzen haben. Dasselbe gilt für ein Lachen – es kann tausend Gründe haben. Je länger man über die Bandbreite von Gefühlen nachdenkt, desto komplexer erscheint es, sie zu deuten.
Ich denke, unsere Gesellschaft neigt dazu, oberflächliche Zusammenhänge herzustellen – Du weinst, also bist du traurig. Oft wird von der Sensibiltät einer Person auch auf ihre innere Stärke geschlossen – Du bist sensibel, also bist du schwach. Und da kommt der Begriff Empathie ins Spiel. Dass es nämlich wahnsinnig Kraft kostet, empathisch zu sein, ist vielen Menschen nicht bewusst.
Empathie oder Mitgefühl?
Empathie wird gesellschaftlich oft als Synonym für Mitgefühl benutzt. Es wird dabei aber selten differenziert, dass Mitgefühl von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Fühle ich mit jemandem mit, weil ich seine Situation kenne und mir deshalb vorstellen kann, wie die Person sich fühlt? Übertrage ich dabei meine eigenen Erfahrungen auf diese Person? Oder war ich selbst noch nie in einer ähnlichen Situation und spüre trotzdem intuitiv, was ich sagen oder tun kann, damit es der anderen Person besser geht? Ich denke, es gibt einen riesigen Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl.
Empathie zu haben bedeutet für mich, dass die Grenzen zwischen den eigenen Emotionen und denen einer anderen Person verschwimmen. Wenn ich bei einem Film weine, tue ich das meist nicht, weil ich eine ähnliche Situation kenne und mich deshalb hineinfühlen kann. Es fühlt sich eher so an, als wär ich in die Geschichte hineingesogen worden, als wäre ich Teil von ihr. Sprich: Ich differenziere nicht mehr zwischen meiner Lebensrealität und der der Figuren. Ich fühle, was sie fühlen. Ist der Film zu Ende, fühle ich mich manchmal, als würde ich aufwachen und muss mich erst einmal wieder daran ‚erinnern‘, dass ich nicht tatsächlich gerade ein ganz anderes Leben durchlebt habe. Emotional habe ich das schließlich.
Dein Schmerz ist mein Schmerz
Empathische Menschen neigen auch oft zu Phantomschmerzen. Wenn ihnen also zum Beispiel jemand von Schmerzen berichtet, kann es passieren, dass sie an der betroffenen Stelle selbst Schmerzen empfinden. Ganz nach dem Motto: Dein Schmerz ist mein Schmerz. Es ist gar nicht so einfach, die eigenen Gefühlsgrenzen zu wahren und sich von der Lebensrealität von anderen Menschen zu distanzieren, wenn man empathisch ist.
Manche Menschen neigen zu Weltschmerz. Auch nicht unbedingt die angenehmste Art, die Realität wahrzunehmen, wenn man an jeder Ecke Schmerz und Leid nachfühlt, oder? Ich denke, wir müssen lernen, dass jede*r Emotionen anders verarbeitet – geduldiger mit anderen Menschen umzugehen. Egal ob sie sehr sensibel sind oder ob es ihnen eher schwer fällt, die Gefühle von anderen Menschen zu verstehen.
Ich finde beispielsweise, die Herangehensweise „Behandle deinen Nächsten, wie du selbst behandelt werden willst“ ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Der Gedanke, dass wir jemand anderem etwas nicht antun, was wir selbst als verletzend empfinden würden. Das Problem dabei ist, dass nicht jeder Mensch gleich behandelt werden möchte. Vor allem nicht, wenn es um Emotionen geht. Es gibt Personen, die lieber in Ruhe gelassen werden wollen, wenn sie traurig sind. Andere hingegen brauchen Zuspruch oder körperliche Nähe.
Der einfachste Weg aus diesem Dilemma ist, offener über Emotionen zu sprechen. Ich finde es wichtig, in Beziehungen, Freundschaften oder familiären Beziehungen, anzusprechen, was man selbst emotional braucht. Das ist natürlich nicht immer einfach, weil wir uns manchen Menschen besser öffnen können als anderen. Aber letztendlich profitieren wir von dieser Herangehensweise alle, weil wir dadurch lernen, uns in unsere eigenen Gefühle und in die von anderen hineinzudenken und zu fühlen. Ich denke auch, dass es etwas über die Beziehung aussagt, wie gut man sich vor einem anderen Menschen öffnen kann. Letztendlich spüren wir wahrscheinlich, ob unser Gegenüber bereit ist, an unseren Gefühlen Anteil zu nehmen.
Also, let’s go caring!