Bodyshaming und gesellschaftliche Strukturen: Warum Wut manchmal angebracht ist!
Schönheit ist nicht nur ein Geschäft, sie ist vor allem politisch. Und wer nicht der Norm entspricht, wird marginalisiert und ausgegrenzt. Damit muss endlich Schluss sein. Darum ruft die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner zu einer Schönheitsrevolution auf und fordert dazu auf wütend zu werden – auf Bodyshaming und gesellschaftliche Strukturen, die uns alle krank machen.
Wir sollen wütend werden. Warum und auf wen?
Elisabeth Lechner: Dauernd damit konfrontiert zu werden, zu dick, zu dunkel, zu behaart, zu alt zu sein oder aufgrund körperlicher Merkmale ausgegrenzt zu werden, das tut weh. Das macht zornig. Aber wir sollten unsere Wut nicht mehr gegen uns und unseren Körper richten, sondern gemeinsam gegen ein System, das uns allen schadet. Da reicht es nicht aus, auf der individuellen Ebene negative Gedanken mit positiven Selbstliebe-Mantras umzuprogrammieren.
Du rufst zu einer Schönheitsrevolution auf Wie sieht die aus?
Es wird Zeit, dass wir unsere Kultur der oberflächlichen Bewertung in eine Kultur des Miteinanders verwandeln. Wir müssen endlich aufhören, andere aufgrund ihres Äußeren zu beschämen. Wir sollten unseren SocialMedia-Feed ausmisten und alle Accounts löschen, die das Schönheitsdiktat fortschreiben. Wir sollten Dickenhass im Internet kommentieren. Stellung beziehen, statt zu schweigen. Weg mit Bodyshaming, her mit Empowerment.
Spielt das Aussehen immer noch so eine große Rolle? Sollten wir im Jahr 2022 nicht längst weiter sein?
Schön wär’s. Schönheitsideale sind zwar immer im Wandel, aber verschwunden sind sie nicht. Da setze ich an: Ich möchte zeigen, wie sehr Äußerlichkeiten über die Chancen eines Menschen entscheiden. Unsere Gesellschaft ist aufNormkörper ausgerichtet, die Welt ist für sie gemacht. Allen anderen werden massive Felsbrocken in den Weg
gelegt. Mehrgewichtige erleben nicht nur gesellschaftlich sanktionierten Dickenhass, sie werden auch strukturell diskriminiert. Sie werden medizinisch schlechter versorgt und haben es auf dem Arbeitsmarkt schwerer. Und spätestens da merken wir, dass die Schönheitsfalle keine individuelle Sache mehr ist, sondern eine politische.
Woher kommt bloß dieses Festhalten am schlanken Ideal?
Wir leben in einer lookistischen Gesellschaft, die Menschen aufgrund ihres Äußeren beurteilt. Kein Wunder, das Selbstoptimierung das große Thema der letzten Jahre ist. Das Beste aus sich machen zu wollen, ist zunächst nicht verwerflich. Problematisch wird es, wenn uns die Schönheitsindustrie ständig neue körperliche Schwachstellen einredet, um ihren Profit zu maximieren.
Sollen wir jetzt alle Schminkprodukte wegwerfen?
Nein, aber es ist schon viel gewonnen, wenn man über die Mechanismen Bescheid weiß und die sinnlose Cellulite-Creme oder das Diät-Produkt einfach mal im Supermarktregal stehen lässt. Beim Thema Schönheit sind immer noch hauptsächlich Frauen gemeint. Männern wird ein größerer Spielraum in der Akzeptanz von Äußerlichkeiten gelassen. Frauen dagegen wurden lange nur auf ihr Aussehen und ihre reproduktiven Fähigkeiten reduziert, sie waren zuständig für die Care-Arbeit, die Männer für Geist, Kultur und das Geldverdienen. Die Ungleichheit sehen wir in allen Bereichen, nicht nur am Gender Pay Gap. Frauen werden in medizinischen Studien vergessen, bei der Entwicklung technischer Geräte, auch die digitalen Welten schreiben die alten Vorurteile weiter, weil ihnen von Männern programmierte Algorithmen zugrunde liegen.
Hat Body Positivity denn gar nichts gebracht?
Doch. Unsere Sehgewohnheiten verändern sich, wenn die unterschiedlichsten Körper als schön und begehrenswert dargestellt werden. Auch Selbstliebe und Selbstfürsorge sind auf individueller Ebene von großem Wert, denn ständige Scham hat fatale Folgen für die eigene Identität. Aber das reicht nicht.
Einen Schritt weiter geht Body Neutrality.
Ja, Body Neutrality stellt den Begriff der Schönheit grundsätzlich infrage und ruft dazu auf, alle Körper ungeachtet ihres Aussehens zu respektieren. Die Botschaft lautet: Wir sind unserem Körper dankbar, dass er einen überhaupt durchs Leben trägt, aber wir sind viel mehr als unser Körper.
Was machen junge Frauen heute anders?
Sie wachsen mit anderen Körperbildern auf, sind gut informiert, reden offen über ihre Struggles und positionieren sich kritisch. Und es ist wichtig, dass sie den Mut haben, sich mit jeder Art von Körper öffentlich zu präsentieren. Man darf jedoch nicht unterschätzen, dass der Schönheitsdruck durch die sozialen Medien auch gestiegen ist.
Wenig hilfreich sind auch Frauen, die ihre Mini-Speckrollen in die Kamera halten und sich als Körper-Aktivistinnen feiern.
Jede und jeder kann Schönheitsdruck empfinden und sich dazu äußern, aber sollten sich nicht als Zentrum der Body-Positivity-Bewegung inszenieren. Sie sollten sich solidarisch zeigen und statt Fotos von sich mal die einer betroffenen Frau teilen.
Was ist sonst noch wichtig im Kampf gegen Bodyshaming?
Vor allem aber dürfen wir die Betroffenen nicht allein lassen. Wir müssen ihnen zuhören und sie stärken, wo es nur geht. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, muss die Hauptlast immer die als Norm angenommene Mehrheit tragen. Sie muss ihre Verhaltensmuster und die systemischen Strukturen überdenken und verändern. Wir können von marginalisierten Personen nicht auch noch unentgeltliche Bildungsarbeit für die Allgemeinheit erwarten.
Das vollständige Interview gibt es in unserem Buch ,,The Curvy Way of Life”, welches am 22.09.22 im Knesebeck-Verlag erschienen ist.
Steht auf … für mehr Vielfalt
Ihre Doktorarbeit hat Dr. Elisabeth Lechner an der Universität Wien über Body Positivity und weibliche Körper geschrieben. Sie forscht und gibt Workshops zu Feminismus in den Medien, Bodyshaming und Lookismus. In ihrem Buch Riot, Don’t Diet (Kremayr & Scheriau, 22 €) fordert die Österreicherin einen ,,Aufstand der widerspenstigen”
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