Gleichberechtigung ist nicht nur für Frauen von Vorteil.
In unserer Gesellschaft waren die Geschlechterrollen immer ganz klar abgesteckt: Der Mann ist der Brotverdiener, er ist stark und taff und ein Fels in der Brandung für seine Frau. Diese bleibt zuhause und kümmert sich um die Kinder und den Haushalt. Feministinnen wehren sich seit hunderten von Jahren gegen diese Strukturen. Und seit sie sich für ihre Rechte einsetzen, hat sich einiges für Frauen geändert. Doch was ist eigentlich mit den Männern? Irgendwie scheinen sie immer noch in ihren traditionellen Rollen festzustecken…
Warum dürfen Frauen Hosen tragen, Männer aber keine Röcke?
Auch die Mode war und ist teilweise immer noch in dieses binäre System aufgeteilt. Männer trugen Hosen, Frauen Röcke und Kleider. Für das Tragen einer Hose konnte eine Frau sogar verhaftet werden, so wie im Fall von Kindergärtnerin Helen Hulick 1938. Heute fällt eine Frau mit Jeans auf der Straße gar nicht mehr auf – das ist ein Recht, das sie sich über Jahrzehnte hinweg erkämpfen musste. Frauen dürfen heute so ziemlich alles tragen, wonach ihnen gerade der Sinn steht. Männer sind da immer noch sehr eingeschränkt. Ein Mann, der in der Öffentlichkeit etwa einen Rock trägt, wird schräge Blicke ernten. Männer dürfen sich außerdem nicht schminken – das findet nicht nur Barbara Schöneberger, die in einem Video auf Instagram verkündet, dass “Männer Männer bleiben sollen”. Auch wenn sie Nagellack tragen oder sich die Haare färben, werden sie schnell als “schwul” abgestempelt. Nicht der Norm zu entsprechen führt vor allem im Teenageralter zu Mobbing und Ausgrenzung.
Nur langsam werden diese Strukturen aufgebrochen. Seit kurzem gibt es sogar einen neuen, mutigen Trend: das Girlfriend Shirt! Das Äquivalent zur Boyfriend Jeans ist eine Bluse aus zartem, fließendem Stoff, eng anliegend und mit typisch weiblichen Merkmalen wie Rüschen und Spitze – aber für Männer! Vielleicht ein Schritt hin zu mehr Unisex Mode und Trends, die genderfluid sind. Stars wie Harry Styles und Shawn Mendes beweisen damit nicht nur Mut, sondern echtes Stilgefühl.
“Echte Männer weinen nicht”…
… oder zumindest schreibt uns das die Gesellschaft so vor. Männer sollten generell keine Gefühle zeigen – Wut scheint die einzige Emotion zu sein, die männlich ist und deswegen sozial akzeptabel. Weinen gilt als Zeichen von Schwäche und ist deswegen dem “schwachen Geschlecht”, den Frauen vorenthalten. Dabei ist Weinen gesund: Durch Weinen beruhigen wir uns selbst, wir lassen Emotionen heraus, anstatt sie in uns hineinzufressen. Es klingt ironisch, doch Weinen ist mit dem allgemeinen Wohlbefinden und persönlichem Glück verbunden. Nach dem Weinen fühlt man sich oft besser, denn es ist therapeutisch. Gefühle anzustauen, kann zu erhöhten Stress Levels führen, was auf Dauer wiederum Depressionen und andere psychische Krankheiten bedingen kann. Weinen ist ein Zeichen dafür, dass es uns schlecht geht und wir Hilfe brauchen. Doch da Männer ihre Gefühle oft unterdrücken, bekommen sie nicht die Hilfe, die sie brauchen.
Warum Männer früher sterben
Frauen leben durchschnittlich fünf Jahre länger, als Männer. Dies hat verschiedene Gründe: Einerseits ist die geringere Lebensdauer auf die Gene zurückzuführen, andererseits sind Männer risikobereiter, sie sind anfälliger für Alkoholismus und Drogenabhängigkeit und scheuen davor zurück, zum Arzt zu gehen – vor allem, wenn es um die psychische Gesundheit geht. Das Resultat: Die Selbstmordrate von Männern ist etwa drei bis vier Mal so hoch, wie die von Frauen.
Wir reden viel darüber, dass Frauen einem Druck unterliegen, in das aktuelle Schönheitsideal zu passen. Weniger wird diskutiert, wie groß der Druck für Männer ist, in ihre traditionelle Rolle als Mann zu passen. Viele Männer schöpfen ihren Selbstwert aus ihrer Aufgabe des Brotverdieners, sie versorgen nicht nur sich selbst, sondern sind für die ganze Familie verantwortlich. Gefährlich wird es, wenn der Mann diesem Ideal nicht mehr gerecht werden kann. Wenn er etwa aus gesundheitlichen Gründen seinen Job nicht mehr erfüllen kann oder er entlassen wird. Statistisch gesehen steigt beispielsweise während einer Finanzkrise die Selbstmordrate unter jungen Männern.
Männer, die sich in ihrem männlichen Ego verletzt fühlen, schaden oft nicht nur sich selbst, sondern auch anderen
Viele Männer fühlen sich von der emanzipierten Frau in ihrer Rolle als Mann bedroht, haben das Gefühl, dass Frauen ihnen konkurrieren wollen oder, dass diese so autark sind, dass sie Männer gar nicht mehr brauchen. Fatal wird es dann, wenn Männer ihren Selbstwert aus ihrer Geschlechterrolle schöpfen und sie diese in Gefahr sehen. Durch gewalttätiges Verhalten versuchen sie ihre Autorität und Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Sie streben nach Macht, Kontrolle und Herrschaft – immerhin ist Wut ja wie gesagt die einzige Emotion, die sie nach außen hin zeigen dürfen. Schlimmstenfalls führt dies zu einer Rape Culture (wortwörtlich Vergewaltigungskultur), denn bei einer Vergewaltigung geht es nicht etwa um Sex, sondern um Macht. Oftmals hat der Täter Minderwertigkeitsgefühle, die er durch seine Tat zu untergraben versucht. Indem das Opfer sich ihm unterwirft, es gedemütigt wird, behauptet der Täter seine eigene Überlegenheit und Macht. Seine Männlichkeit ist scheinbar wieder hergestellt.
Aber was können wir gegen diese toxische Maskulinität tun?
Indem wir Frauen immer selbstständiger, immer emanzipierter werden, nehmen wir Männern den Druck, für die ganze Familie sorgen zu müssen. Doch wir müssen auch unsere Kinder anders erziehen. Wir müssen unseren Söhnen beibringen, dass es okay ist, zu weinen, dass sie nicht immer stark und männlich sein und ihre Gefühle nicht versteckt halten müssen. Wir sollten ihnen beibringen, um Hilfe zu bitten, wenn es ihnen schlecht geht. Und dass es okay ist, lieber mit Puppen zu spielen, als mit Baggern und Autos. Damit Kinder ihr volles Potenzial ausschöpfen können, sollte es ihnen möglich sein, ihren eigenen Interessen zu folgen – egal ob diese in die traditionellen Genderrollen passen oder nicht.
Wir müssen uns darüber bewusst werden, wie wahllos unsere gesellschaftlichen Regeln teilweise sind: Nur weil etwas seit Jahrzehnten so gemacht wird, heißt es nicht, dass es richtig ist. Im Barock beispielsweise trugen auch Männer Schuhe mit hohen Absätzen, große Perücken und waren stark geschminkt. Die Vorstellung, dass Männer Röcke tragen, erscheint heute wahrscheinlich vielen absurd, im Mittelalter war es ganz normal. Warum wird es also heute verpönt?
Offen nicht heterosexuelle Männer machen es uns vor: Influencer posten auf Youtube Schminktutorials und Stars, wie Jonathan van Ness führen auf dem Red Carpet Kleider aus. Auch, wenn es für einige gewöhnungsbedürftig sein mag, das ist unsere Zukunft! Eine Zeit, in der jeder sein darf, was er will.
Letztendlich wird unsere ganze Gesellschaft in vielerlei Hinsicht davon profitieren.