Laura Hornbergers berührender Kurzdokumentarfilm zeigt die Lebensrealität mehrgewichtiger Frauen und stellt die Frage: Wie wäre ein Sommer ohne Scham, in dem Körperideale keine Rolle spielen?
Einfühlsam, berührend, echt – so lässt sich der Kurzdokumentarfilm von Laura Hornberger beschreiben, der im Rahmen ihres Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg entstanden ist. In sanfter, doch kraftvoller Weise widmet sich der Film einem Thema, das viel zu oft übersehen wird: den Gedanken und Gefühlen, die dicke Menschen, insbesondere Frauen, im Sommer begleiten. Und darum geht es: „Drei Frauen möchten den Sommer zurück. Seit ihrer Kindheit ist die Jahreszeit mit Scham gleichgesetzt. Sobald die Temperaturen steigen, beginnt jedes Jahr erneut der Kampf mit ihrem Spiegelbild.“ erklärt Laura.
Der Film zeigt die Lebensrealität von Meike, Laura und Yele sobald die Temperaturen in Deutschland steigen. Weniger Kleidung bedeutet mehr Bewertung. Kommentare und Blicke von Familie, Freunden und Fremden nehmen zu. In berührenden Interviews reflektieren die Frauen, wie Schönheitsideale sie seit klein auf geprägt haben, und fragen sich: Wie wäre ein Sommer, in dem Körperideale keine Rolle spielen?
Die Bilder, sind von beeindruckender Ästhetik – dicke Körper werden in einer Schönheit portraitiert, die selten so intensiv gezeigt wird. Doch der Film geht weit über das rein Visuelle hinaus. Er zwingt das Publikum hinzuschauen, wirklich hinzusehen, auf Haut, Dellen und Rollen und das eigene Verhalten zu reflektieren. Er stellt die Frage: Ist das, was wir sehen, wirklich so schlimm? Warum ist es dir vielleicht sogar unangenehm, dicke Körper zu betrachten und wahrzunehmen? Der Film erinnert uns daran, wie viele Sommer uns vielleicht verloren gingen, wie viel Freude uns verwehrt blieb, nur weil wir uns selbst nicht erlaubt haben, ihn im eigenen Körper zu genießen. Sensibilisierend und mit großer Einfühlsamkeit zeigt der Film die Lebensrealitäten mehrgewichtiger Frauen und regt dazu an, unsere Wahrnehmung zu hinterfragen.
Laura Hornberger, geboren 1995 in Deutschland, ist Filmemacherin und Journalistin. Nach einem abgeschlossenen Journalismusstudium in Stuttgart und Amsterdam vertiefte sie ihre Ausbildung an der Filmakademie Baden-Württemberg. In ihren Reportagen und Dokumentarfilmen setzt sie sich dafür ein, weibliche Perspektiven sichtbar zu machen. Dieser Film ist ein kraftvolles Beispiel dafür, wie es ihr gelingt, die Nuancen und Herausforderungen des Frauseins auf die Leinwand zu bringen.
Interview mit Laura Hornberger über „Ein dicker Sommer“
Wie bist du auf die Idee gekommen? Bist du selbst mehrgewichtig? Ist es also ein persönliches Thema oder wie stehst du dazu?
Laura Hornberger: Ich war als Kind mehrgewichtig. Meine Eltern haben mich dann bei verschiedenen Sportvereinen angemeldet, damit ich abnehme. Glücklicherweise hat mir der Sport Spaß gemacht und das Abnehmen stand dadurch nicht im Fokus. Heute bin ich nicht mehr mehrgewichtig, bezeichne meinen Körper aber auch nicht als „normschön“. Ich habe wahrgenommen, dass ich mich – im Gegensatz zu „normschönen“ Freundinnen – nie über den Sommer freue. Meine ersten Gedanken an warmen Tagen sind immer, dass ich nun wieder kurze Kleidung tragen muss, in der ich mich aufgrund von Blicken und Bewertung nach wie vor unwohl fühle. Daher habe ich mich gefragt, wie es wohl mehrgewichtigen Frauen geht und wie sie den Sommer erleben.
Was war dir bei der Umsetzung besonders wichtig?
Das Konzept des Films war es, Frauen zu finden, die in diesem Sommer etwas verändern wollen. Ich wollte die Frauen empowern und nicht in einer Opferperspektive zeigen. Daher habe ich nach Frauen gesucht, sie sich den Sommer stückweit zurückerobern wollen. Bei dem Bildkonzept ging es Franziska Kabutke (Kamera) und mir primär darum, die Darstellung von mehrgewichtigen Körpern zu endtabuisieren und die Vielfalt dieser Körper sichtbar zu machen. Immer wieder sieht man im Film daher Nahaufnahmen. Für diese haben wir auf einer abgelegenen Wiese im Schwarzwald gedreht. Franzi durfte die Körper der Frauen wie Kunstwerke betrachten und sehr ästhetische Aufnahmen machen. Laut Rückmeldung der Frauen haben wir es geschafft einen Safe Space zu schaffen (Kamerafrau, Natur, mehrere mehrgewichtige Frauen). Es wurde geweint und gelacht bei diesem Dreh.
Was sind deine persönlichen Sommer-Erfahrungen?
Mein Sommergefühl ist erstmal ein Unwohlsein. Das liegt vor allem an Kommentaren aus der Vergangenheit, die sich leider eingebrannt haben. Aber auch daran, dass z.B. noch immer meine Arme kommentiert werden sobald ich Tops trage. Trotzdem erfahre ich noch lange nicht die Art der Diskrikimierung, die mehrgewichtige Frauen im Alltag erleben. Ich konnte viel von den Protagonistinnen in meinem Film lernen. Sie haben auch mir geholfen eine Art „Fuck It“-Einstellung zu entwickeln und den Sommer freier zu leben.
Hattest du ein Aha-Erlebnis während der Arbeit an dem Projekt?
Das Schönheitsideale sehr oft von Generation zu Generation weitergegeben werden – vor allem unter Frauen. Unsere Mütter und Großmütter wurden sehr stark über ihr Aussehen definiert. Was sie durch Sätze wie z.B. „Wenn du nicht abnimmst, findest du nie jemanden (einen Partner)“ dann an ihre Töchter weitergeben haben. Frauen sind, auch wenn Schönheitsideale von außen kommen und auferlegt werden, damit Teil des Problems. Ein weiteres Aha-Erlebnis war, dass Menschen unter dem Druck von Schönheitsnormen oft erst Esstörungen entwickeln, was wiederum dauerhaft zu Mehrgewicht führen kann. Eine der Protagonistinnen sagte: „Hätte meine Mutter mir nicht von klein auf gesagt, dass ich dünn sein muss, dann hätte ich gar keine Esstörung entwickelt und wäre heute wahrscheinlich nicht mehrgewichtig.“
Welche Reaktionen hast du bisher auf den Film bekommen?
Wir durften den Film bisher auf drei Filmfestivals (Offenburg, Dortmund und Stuttgart) präsentieren. Bisher kamen ausschließlich positive Rückmeldungen. Nach den Screenings kamen immer wieder Menschen auf uns zu, die versuchen möchten, mehrgewichtige Körper nun mit weniger Wertung zu betrachten. Zuschauer:innen meinten auch, dass sie während des Schauens Scham über ihr eigenes Verhalten empfunden haben.
Was wünscht du dir für dein Projekt und in Bezug auf die Gesellschaft?
Der Fokus des Films liegt auf Frauen, da sie nachweislich stärker nach ihrem Aussehen bewertet und häufiger an Esstörungen leiden. Unsere Gesellschaft muss anders auf mehrgewichtige Körper schauen – ohne Bewertung. Die Schuldfrage, die für viele Menschen oft eine Diskriminierung rechtfertigt, darf nicht ständig mitschwingen. Die Diskriminierung von mehrgewichtigen Körpern ist nicht zu rechtfertigen und ich hoffe, dass der Film eine kleinen Beitrag dazu leisten kann, mehrgewichtige Körper sichtbarer zu machen und Verständnis für diese Lebensrealität zu schaffen. Denn alle Körper dürfen existieren – auch und vielleicht vor allem im Sommer.
Vielen Dank, liebe Laura, für das schöne Interview und diesen tollen, wertvollen Film!
Der Film „Ein dicker Sommer“ ist derzeit auf Festivaltour und wird auf mehreren kleineren Dokumentarfilmfestivals in Deutschland gezeigt. Der nächste Ausstrahlungstermin ist am 17. August auf dem 48. Filmfest in Weiterstadt im Kurzfilmblock um 18.30-20.00 Uhr.