wie Gedichte heute unsere Welt verändern
„Suchst du nach Zeilen, hast du mein Wort – gehst du verloren bin ich dein sicherer Ort“, schreibt Songwriterin Elif in einem ihrer lyrischen Songs so passend wie die Lyrik in ihm selbst. Doch während wir uns zu Zeiten alle gerne mal in die Musik flüchten, scheint die Poesie auf dem geschriebenen Blatt schon seit Jahrzehnten ausgestorben. Was ist passiert nach Hermann Hesse, Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Rainer Maria Rilke oder Voltaire? Große Namen, die aus unserer Geschichte nicht wegzudenken sind, nach denen aber eine gähnende Leere folgte.
Erst jetzt – und es scheint als würden wir das den sozialen Medien verdanken – erlebt die klassische Dichtkunst wieder einen Aufschwung. Ist es nicht so, dass uns noch immer viel zu oft die Worte fehlen, um das auszudrücken, was wir fühlen? Wer diesen Nagel also auf den Kopf trifft, erfreut sich bei Instagram schnell an geteiltem Content und wird zum Promi einer Szene. Das Schöne – die Welt scheint vereint, wenn es um Poesie geht. Da ist die indische Szenekünstlerin Rupi Kaur, die Liebe in Zeiten des Girlpower-Daseins thematisiert, der australische Hippie Beau Taplin, der Worte fürs Zeitgeschehen findet, der oder die anonyme Bestsellerautor/in Atticus, die Digitalkünstlerin Morgan Harper Nichols, die aus jedem ihrer Werke einen inspirierenden Screen-Saver gestaltet und so so viele mehr.
Und dann gibt es da die Autorin Sabine Magnet, die ihr Dichttalent nutzt, um personalisierte Werke auf ihrer Homepage www.poetrytogo.de oder als Poesieperformance, beispielsweise in kreativen Write-In-Sessions gemeinsam mit ihrer Schreibmaschine anzubieten.
Mit uns spricht sie über den Wandel der Poesie aus ihren Augen, die Vielfalt an Inspirationsquellen für Poesie und wieso sie glücklich macht.
Liebe Sabine, was denkst du, hat sich in der Poesie heutzutage verändert?
Das Internet und die sozialen Medien haben die Sparte an sich verändert. Ich muss nicht mehr darauf warten, dass vielleicht mal jemand Potential in mir sieht und meine Texte veröffentlicht, ich kann das selbst tun, kann eine Webseite befüllen, auf Instagram und Facebook posten und mithilfe von Plattformen wie Amazon self-publishen. Ich habe das Gefühl, dass dadurch das Feld der Poesie weiter und offener geworden ist. Dass dadurch neue Ausdrucksformen entstehen, dass Dichterinnen und Dichter größere Plattformen haben können, dass mehr Menschen sich trauen, ihre Gefühle lyrisch auszudrücken. Und dass viel mehr Menschen Poesie lesen als das noch vor ein paar Jahren der Fall war. Es gibt zwar große Kritik an Form und Inhalt (oder dem Mangel an Inhalt) von so genannter Instapoetry, aber ich kann nichts Schlechtes darin sehen, dass Menschen sich in und mit Poesie wiederfinden.
Mit deinen Ideen inspirierst du uns täglich – was inspiriert dich?
Alles! Ich finde echt alles interessant. Sogar langweilige Sachen wie Umsatzsteuervoranmeldung sind total spannend, wenn man sie aus dem richtigen Winkel betrachtet. (Allein schon das Wort!). Aber im Ernst. Mich inspiriert wirklich alles. Menschen, die ich treffe, Natur, Tiere, Essen, Situationen, Details, gesellschaftliche Phänomene, genauso wie all das, was in mir selbst vorgeht, all meine Gefühle und Gedanken und meine Reaktionen, meine Rückschlüsse und die Geschichten, die sich mein Ich über sich selbst erzählt.
Was macht deine Gedichte einzigartig? Wen möchtest du damit erreichen?
Ich weiß nicht, was ich von diesem Begriff halten soll: Einzigartigkeit. Ich bin mir nicht sicher, ob es das in Bezug auf Ausdruck überhaupt gibt oder ob wir nicht alle einfach alles in veränderte Form wiedergeben, was wir mal gesehen, erfahren, gelernt haben… Was bei dem Teil meiner Arbeit, den ich POETRY TO GO nenne, vielleicht speziell ist, ist der Prozess, wie die Gedichte entstehen: Das sind ja Auftragsgedichte. Die Auftraggebenden erzählen mir vom Sujet des Gedichts und oft sind das sie selbst oder geliebte Menschen. Ich denke, das Besondere ist, dass da eine fremde Person ist (ich), die ihnen voll und ganz zuhört, kein Urteil fällt, sondern einfach nur Zeugin des Moments ist – und die dann diese Informationen in eine lyrische Form bringt. Oft ist es das erste Mal, dass die Menschen das lesen, was sie tatsächlich fühlen und das hat eine große Kraft. Bei der Übergabe der Gedichte fließen oft Tränen. Auch bei mir.
Wen ich damit erreichen will? Alle, die erreicht werden wollen, alle, die sich nach einer Seelenumarmung sehnen, alle, die selbst nicht die richtigen Worte finden. Alle, die gesehen werden wollen. Aber auch alle, die sich amüsieren wollen. Ich schreibe nämlich auch sehr gerne lustige Gedichte.
Können Gedichte die Welt verändern? Und wenn ja, inwiefern?
In jedem Fall können sie Deine Welt verändern. Die Welt eines einzelnen Menschen. Das habe ich selbst erlebt. Und jeder Wandel, egal wie groß, fängt immer beim Individuum an. Deshalb: Ja, Gedichte können die Welt verändern.
Was war das schönste Feedback, dass du mal bekommen hast auf eins deiner Gedichte?
Da kann ich gar nicht das eine Feedback herausstellen, das ist eine Kette von Reaktionen: Menschen, die so berührt sind, dass sie anfangen zu weinen und mich dann fest umarmen. Fotos von gerahmten Gedichten an den Wänden im Zuhause der Auftraggebenden. Nachrichten, die erzählen, wie sehr die Gedichte auch Jahre später motivieren. Ich habe das Gefühl, dass gerade in so verwirrenden und beängstigenden Zeiten wie diesen Poesie etwas ist, das das Beste in uns herausbringt, dass uns leitet und an dem wir uns festhalten können.
Liebe Sabine, etwas zu haben, woran man sich festhalten kann, ist eines der wertvollsten Dinge, die unsere schnelllebige Welt heute bieten kann. Wie schön, dass es dich gibt!
Bilder @sabine_magnet