Fiebernd sitzen wir vorm PC.
Passnummern, Flugzeiten, Hoteldaten und dann kommt sie endlich – die Bestätigungsmail. „Wir freuen uns, Ihnen hiermit Ihre Reiseunterlagen zu übermitteln.“ In wenigen Wochen geht es los. Wir fallen uns in die Arme. Voller Euphorie. Spüren die Funken sprühen und das, obwohl wir nur ganz banal im Schlafshirt auf dem Sofa sitzen. Aber das, was hier beginnt, ist etwas Besonderes.
39,5 Grad Außentemperatur und noch zehn Leute vor mir in der Schlange. Was nehme ich denn jetzt? Stracciatella oder Zitrone? Oder beides? Normalerweise bin ich super ungeduldig, wenn ich auf etwas warten muss. Aber dieses Warten ist anders. Es ist viel mehr ein freudiges Gefühl, das mit jeder Minute wächst, in der die Schlange kürzer wird. Verursacht durch den heiligen Hunger auf Eis.
„Morgen um 8 Uhr im Herzog? Ein paar Drinks – nur wir zwei?“ Die Nachricht ploppt auf meinem Smartphonedisplay auf und mein Bauch zieht sich instinktiv zusammen. „Luftholen!“, denke ich und atme tief durch. Wie lange hab ich darauf gewartet, dass er den ersten Schritt macht. Sich ein Herz fasst. Was soll ich anziehen? Vielleicht sollte ich mein Lieblingsshirt mal wieder bügeln. Heute Abend werde ich endlich die Gesichtsmaske auflegen, die ich aus dem Magazin gerissen habe und die seitdem auf meinem Spiegelschrank liegt. Mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Ich antworte ihm: „Ja!“ Es sind nur ein paar Drinks. Bedeutet ja noch nichts. Aber für mich bedeutet es gerade in dem Moment und für die nächsten paar Stunden die ganze Welt.
Jeder kennt dieses magische Gefühl: Vorfreude. Egal ob sie nur wenige Minuten andauert, wenn wir uns auf eine Kugel Eis in der Mittagssonne freuen, oder mehrere Wochen, in denen wir einen Urlaub herbeisehnen, den wir gebucht haben. Es ist sogar bewiesen, dass Reisefieber schon ein Teil der eigentlichen Erholung ist! Eine experimentelle Studie der University of California in Irvine hat gezeigt, dass weit mehr als die Hälfte aller Teilnehmer ein freudiges Ereignis lieber um drei Tage verschieben würden, als es sofort zu erleben. In dem Experiment sollten sich die Teilnehmer vorstellen, ihren Lieblingsfilmstar küssen zu dürfen. Vorfreude ist also dehnbar. Und das fast bis ins Unermessliche! Im Gegensatz dazu erscheint der Glücksmoment selbst – der, in dem das herbeigesehnte Ereignis dann tatsächlich eintritt – beinahe flüchtig und unbedeutend. Die Erfüllung eines Wunsches kann maximal drei Wochen glücklich machen – so Erkenntnisse der Glücksforschung. Und manchmal ist unsere Vorfreude sogar so groß, dass die Wirklichkeit ihr überhaupt nicht gerecht werden kann.
Unser Problem ist nun aber: Wir sind dabei, die Emotion Vorfreude auszurotten. Und daran sind wir selbst schuld, denn wir können sie ja nur empfinden, wenn wir eine Weile auf etwas warten müssen. Indem wir uns heute in unserem auf schnelle Bedürfnisbefriedigung programmierten Lebensstil alles sofort beschaffen, schaffen wir die Vorfreude ab. Eine Pizza? Klar, ein Anruf genügt und wenige Augenblicke später steht „Einmal Salami mit extra Käse“ vor der Tür. Heute Abend Lust auf Kuscheln? Bei Tinder findet man im Radius von sechs Kilometern bestimmt jemand Passendes. Und das smaragdgrüne Spitzenkleid, ohne das unser Leben einfach keinen Sinn mehr macht, wird online angeklickt und bereits am nächsten Tag oder sogar noch per Same Day Delivery von einem gestressten Paketboten vorbeigebracht. So gut wie alles, wonach uns gelüstet, ist jederzeit und sofort verfügbar. Ganz nach der egozentrischen Textzeile von Queen: „I want it all and I want it now.“ Wen wundert es da noch, dass Weihnachten – die Zeit, in der einst lang ersehnte Wünsche in Erfüllung gingen und wir 24 Tage geduldig jeden Tag ein Türchen öffneten, – nicht mehr halb so viel Spaß macht wie früher, weil wir uns den Zauber teilweise selbst ruinieren. Der moderne Grinch hat oft bereits an Tag zwei alle 24 Türchen leergefuttert, weil er eben mal Appetit auf Schokolade hatte. So what!
Dabei haben Forscher der Universität in Irvine sogar empirisch belegt, dass Vorfreude sich positiv auf unseren Gesundheitszustand auswirkt. Sie erhöht den Endorphinspiegel, mindert Stressgefühle und schüttet das Wachstumshormon HGH aus, welches das Immunsystem stimuliert. Das Romantische daran: Bei der Erwartung besonders großartiger Dinge in naher oder auch ferner Zukunft können die Symptome weit über die in der Studie ermittelten Werte hinausgehen – insbesondere, wenn sich zwei Menschen aufeinander freuen. Es scheint wie ein Trick der Evolution, die uns dazu erziehen will, den schönen Seiten des Lebens mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Während wir Vorfreude empfinden, sind all unsere Sinne auf Empfang gestellt, unsere Wahrnehmung wird schärfer und es wirkt, als erlebten wir das, worauf wir uns freuen, noch intensiver.
Nicht umsonst also besagt ein bekanntes Sprichwort: „Vorfreude ist die schönste Freude.“ Wie einfach wir uns aber ein bisschen Vorfreude wieder zurückholen können, beschrieb einst schon Antoine de Saint-Exupéry so treffend und banal in seinem Werk „Der kleine Prinz“ durch die Stimme des Fuchses: „Es wäre besser gewesen, du wärst zur selben Stunde wiedergekommen. Wenn du zum Beispiel um vier Uhr nachmittags kommst, kann ich um drei Uhr anfangen, glücklich zu sein. Je mehr die Zeit vergeht, umso glücklicher werde ich mich fühlen. […] Wenn du aber irgendwann kommst, kann ich nie wissen, wann mein Herz da sein soll.“