Mit ihrer Kleidung rahmt Karoline Vitto Speckrollen wie Kunstwerke ein – und leistet einen wichtigen Beitrag zu Fat Representation auf der Fashion Week. Erfahre hier alles über die tolle Brand!
Vielleicht habt ihr es schon gehört: Die 2000er sind zurück. Erst haben sie sachte und unschuldig mit bunten Haarspangen und Schmetterlingsprints angeklopft, unser Vertrauen gewonnen – nur um die Tür dann voll Karacho mit Low Waist Jeans, G-String und Minirock einzutreten. Der Y2K-Trend ist bedauerlicherweise nicht allein unterwegs, sondern reist in Begleitung sämtlicher toxischer Schönheits- und Körperbilder der 00er-Jahre. Hello again, Size Zero und Waschbrettbauch! Kim Kardashian hat sich Gerüchten zufolge ihre Po-Implantate entfernen lassen, um besser in die angesagte Schablone zu passen.
Die vorausgegangenen Fashion Weeks machten Hoffnung, es tue sich endlich was in Sachen Plus-Size-Repräsentation. Es schien, die Modewelt räume endlich auf mit ihren gefährlichen Idealen. Diese Saison wird als wichtigstes Accessoire zu ultratief sitzenden Röcken und ultrakurz geschnittenen Oberteilen eine flache Körpermitte propagiert. Body Diversity? Fehlanzeige, der Hype kommt wohl nicht in großen Größen! Besonders abwechslungsreich ist die Auswahl im Curvy-Department ohnehin nicht: Plus Size Fashion bewegt sich zwischen Übersexualisierung weiblicher Kurven und Designs, die einem Keuschheitsgürtel alle Ehre machen. Abseits dieser beiden Extrempole: gähnende Leere!
Ein Lichtblick am Plus Size Mode-Himmel: Karoline Vitto
Zum Glück gibt es Karoline Vitto! Die brasilianische Designerin beweist, es geht auch anders. Das Bauchfrei und die Cut-outs der 2000er funktionieren wunderbar an kurvigen Körpern – ach was, sie funktionieren nicht nur, sie brillieren! Vitto dreht den Spieß einfach um. Ihre Kund:innen tragen UK-Größen 8 bis 28. Durch das erweiterte Größensortiment möchte die Royal-College-of-Art-Absolventin die „Sample Size“ revolutionieren. Sie ist eines der Talente, das die gemeinnützige Organisation Fashion East vergangenen Herbst in ihr Mentoring-Programm aufnahm und im Rahmen der Londoner Modewoche präsentierte.
Fashion East bewies in der Vergangenheit ein enormes Gespür dafür, die viel- versprechendsten Jungdesigner:innen ausfindig zu machen. Mit Karoline Vitto fördert die Organisation nun erstmals eine Modeschöpferin, die Größendiversität in den Mittelpunkt rückt. Folglich bestand der Cast von Vittos Fashion-Week-Debüt fast ausschließlich aus Curve Models. Gegenüber Vogue Runway erzählte sie vor der Show: „Ich selbst trage eine UK-Größe 14 bis 16, und als ich meinen Modeabschluss machte, arbeiteten wir alle mit den Sample Sizes 6 bis 8. So konnte ich meine eigenen Entwürfe nie selbst anprobieren.“
Karoline Vitto – von der Problemzone zum Kunstwerk
Karoline Vitto ist in Brasilien aufgewachsen. Umgeben vom ständigen Druck, „perfekt“ auszusehen. Die dortigen Schönheitsideale sind sehr homogen, Diäten und kosmetische Eingriffe – Stichwort „Brazilian Butt Lift“ – stehen hoch im Kurs. Erst als sie für das Studium nach London zieht, schafft die Designerin es, sich mit ihrem Körper zu versöhnen. Sie fängt an, die Beauty-Standards ihrer Heimat stärker zu hinterfragen und lässt diesen Prozess in ihre Arbeit einfließen.
Eines der Resultate: Karoline Vitto drapiert die Stoffe beim Designen direkt um den Torso herum, statt diesen hinterher in ein fertiges Produkt zu stecken. Nicht der Trend, sondern die Figur steht somit im Mittelpunkt. Die Designs sind alle asymmetrisch an den Körper gelegt, um die menschliche Form widerzuspiegeln – die ja nie perfekt symmetrisch ist. Silhouetten kommen in unendlichen Variationen, kein Mensch gleicht dem anderen. Genau darin liegt die Schönheit ihrer Entwürfe. Karoline Vitto schafft es, diese Individualität hervorzuheben. Im gesellschaftlichen Konsens oft eher unliebsame oder negativ konnotierte Körperteile, wie Röllchen unter den Achseln oder Hüftspeck, werden stolz gezeigt statt versteckt oder kaschiert. Die „Problemzonen“ sind wie Kunstwerke eingerahmt und von filigranem Metall umfasst, während die restliche Figur von anschmiegsamer Viskose umarmt wird. Karoline Vitto zelebriert den liebevollen, wertschätzenden Umgang mit der eigenen Physis.
Bei der Betrachtung der Kollektionen so mancher Designer:innen fällt auf, dass der Körper beim Designprozess überhaupt nicht miteinbezogen wurde und die Kleidung zwar ästhetische Gesichtspunkte erfüllt, aber nicht gut sitzt. Karoline Vitto stellt ihr Können unter Beweis, indem sie Lösungen sucht, bestimmte Schnitte für kurvige Körper zu adaptieren. Ihre Kollektion enthält beispielsweise eine Low-Rise-Hose, die auf der Rückseite jedoch höher geschnitten ist und verstellt werden kann, um ungewollte Blitzer zu vermeiden. Diese Kniffe sind es, die Kleidungsstücke nicht nur gut aussehen lassen, sondern sie zu Wohlfühl- und somit Lieblings-Pieces werden lassen.
Prominente Beweise für die Popularität von Vittos Entwürfen gibt es genügend: Eines ihrer Kleider wurde bereits auf dem Cover der brasilianischen Vogue gefeatured und zu ihren treuesten Kundinnen gehören die Supermodels Paloma Elsesser und Precious Lee sowie die Sängerinnen Shygirl, Jojo Todynho und Duda Beat. Während der 2000er-Jahre wuchs eine Generation junger Plus-Size-Personen auf, die sich von der Modewelt nicht repräsentiert fühlten. Das toxische Körperverständnis dieser Zeit wirkt bis heute nach. Karoline Vittos Kollektionen stellen sich dem entgegen und bieten Fashion für diese neue Generation. Das spiegelt sich nicht zuletzt in den Models wider, die sie für ihre Shows auswählt.
Ihr eigenes Label Karoline Vitto hat sie 2020 gegründet. Neben Diversität liegen ihr Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit sehr am Herzen. Jedes Stück wird on demand gefertigt, um Überproduktion zu vermeiden. Für Inspiration blättert Vitto gerne in Fotobildbänden. Den Fotografien von Deborah Turbeville beispielsweise schreibt sie eine empowernde, feminine Energie zu, die sie ebenfalls in ihrer Arbeit umsetzen möchte. Auch die Supermodel-Ära der 90er fließt in einer zeitgemäßeren Form in ihre Arbeit ein und den Modeschöpfer Azzedine Alaïa beschreibt sie als besonders einflussreich.
Karoline Vittos größte Musen sind aber natürlich die Curvy-Personen, für die sie designt. Ihre aktuelle Kollektion hat sie Ende Februar auf der London Fashion Week vorgestellt, wieder unterstützt durch das Mentoring-Programm des Talent-Inkubators Fashion East. Doch wer ihre Mode tragen will, muss schnell sein: Viele ihrer Teile sind im Nu ausverkauft. Die Preise belaufen sich zwischen 90 Euro für Accessoires über 300 Euro für Hosen und Röcke bis hin zu 800 Euro für besondere Modelle.

Die Kurvenkünstlerin
Karoline Vitto ist eine in London ansässige brasilianische Designerin. 2019 machte sie ihren Abschluss in Modedesign am Royal College of Art. 2022 eröffnete sie ihr eigenes Studio, 2023 feierte sie ihr Fashion-Week-Debüt. Instagram: @karolinevitto