Die Antwort auf diese Frage ist ganz simpel: Alles!
In unserer Gesellschaft werden Frauen viel stärker nach ihrem Aussehen beurteilt als Männer. Bereits im Teenager-Alter findet jedes zweite Mädchen sich zu dick, jedes vierte hat schon eine Diät gemacht und jede dritte hat beim Essen ein schlechtes Gewissen. Der Druck unserer Gesellschaft, in ein vorgefertigtes Schönheitsideal zu passen, kann zu Essstörungen, Selbstverletzungen und zu einem schlechten Selbstwertgefühl führen. Wir kennen es wahrscheinlich alle nur zu gut: Ist man dicker als die anderen, zweifelt man schnell an sich, man fragt sich, warum Menschen überhaupt mit einem – mit der Dicken – befreundet sein wollen. Man glaubt weniger an sich selbst und traut sich weniger. Ständig hat man das Gefühl nicht gut genug zu sein – und das nur wegen seines Aussehens. Außerdem haben dicke Menschen oft mit Vorurteilen zu kämpfen: Dicke sind angeblich faul, undiszipliniert, unhygienisch und willensschwach.
Von Fatshaming und mehr Selbstliebe
Doch seit einigen Jahren verbreitet sich Body Positivity (oder sollten wir sagen #bodypositivity) in den Netzwerken. Die Bewegung steht für ein vielfältiges Schönheitsideal, beziehungsweise für gar kein Schönheitsideal. Es geht darum, sich selbst mit allen seinen vermeintlichen Makeln zu lieben. Im Gegensatz zu dem, was einige glauben mögen, preist Body Positivity weder Fettleibigkeit an, noch redet es Dicksein schön. Es bedeutet ganz einfach, dass man übergewichtig sein kann, ohne sich dafür zu hassen.
Ein absoluter Vorreiter in Sachen Selbstliebe ist ganz klar Lizzo. Die Sängerin aus den USA zeigt sich in ihren knappen Bühnenoutfits sexy und selbstbewusst und das obwohl sie so gar nicht in das Schönheitsideal unserer Gesellschaft passen möchte. Sie hat absolut keine Hemmungen, sich so freizügig zu präsentieren, schämt sich nicht für ihre Rundungen und feiert sich selbst und ihren Körper. Was für ein Vorbild! Wir waren vor kurzem auf einem Konzert der Powerfrau und waren begeistert von ihrer Energie, mit der sie die komplette Konzerthalle füllte. Ihre Ausstrahlung und ihre Kraft färbte auch auf das Publikum ab und spätestens bei den Zeilen ” Cause I’m my own soulmate, I know how to love me “, fühlte sich wohl jeder im Saal stark, selbstbewusst und stolz, eine Frau zu sein.
In einer Welt, die von deinen Selbstzweifeln profitiert, ist die Liebe zu dir selbst ein rebellischer Akt.
Doch was hat Body Positivity mit Feminismus zu tun? Ganz einfach: Von dem Druck in ein bestimmtes Schönheitsideal zu passen, sind hauptsächlich Frauen und Mädchen betroffen. Einem kleinen Jungen sagt man gerne: “Wow, bist du stark” oder “Da warst du aber tapfer”. Ein Mädchen bekommt wohl eher zu hören, es hätte schöne Löckchen oder ein hübsches Kleid.
Vor allem, wenn er in der Öffentlichkeit steht, bleibt ein Frauenkörper selten unkommentiert. Schauen wir uns mal die aktuellen Klatschzeitschriften an: Das Ok! Magazin fragt in Anspielung auf ihre zahlreichen Beauty OPs: “Gina Lisa, findest du dich noch schön?”, während die Gala diskutiert, warum Keanu Reaves neue Freundin sich nicht die grauen Haare färbt. Die InTouch teilt ein “überraschendes Bauchfoto” von Helene Fischer und die Bunte beschäftigt sich damit, ob Fitnessbloggerin Sophia Thiel zugenommen hat. Keine einzige der Schlagzeilen beschäftigt sich mit dem Aussehen eines Mannes.
Unter den Begriff Body Positivity fällt aber noch viel mehr als nur das Körpergewicht. Unser aktuelles Schönheitsideal schreibt uns nicht nur Maße von 90-60-90 vor, sondern auch eine reine, glatte Haut, ein kleines Stupsnäschen und große, runde Augen. Bei der Bewegung geht es also nicht nur darum, seine Kurven lieben zu lernen, sondern auch seine Akne, seine Pigmentstörung, seine große Hakennase und all die anderen Merkmale, die unsere Gesellschaft als Makel ansieht.
Während Frauen unter dem Druck der Gesellschaft leiden, profitiert die Schönheitsindustrie immens davon. Ohne Selbstzweifel und den ständigen Drang sich selbst zu optimieren, würde wohl niemand Anti-Falten-Cremes, Push-up BHs oder Shapewear kaufen.
Wenn alle Frauen auf der Erde morgen aufwachten und sich in ihrem eigenen Körper wirklich wohl und stark fühlen würden, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen.
Laurie Penny
Shave it off!
Auch unsere Körperbehaarung unterliegt den Zwängen unserer Gesellschaft. Wir waxen, rasieren und epilieren was das Zeug hält, denn nur auf dem Kopf sind unsere Haare sozial akzeptabel. Dabei ist das ganze Prozedere nervig, zeit- und geldaufwändig und noch schlimmer: es führt oft zu eingewachsenen Haaren, Pickeln und Hautirritationen. Also warum tun wir uns das an? Weil wir es selber schön finden oder weil unsere Gesellschaft es uns vorschreibt? Immerhin erntet man für das Zeigen eines haarigen Beins schnell mal angewiderte oder schockierte Blicke. Wenn man es auf sozialen Medien öffentlich macht, wie die Künstlerin Arvida Byström, sogar Beleidigungen oder Gewaltdrohungen. Doch wer kann schon so genau sagen, was wir aus freien Stücken tun und was uns seit Jahrzehnten so anerzogen wurde? Komisch ist es nur, dass wir mit der Haarentfernung im Winter plötzlich nachlässig werden, sobald niemand mehr unsere Beine sehen kann.
Viva la Vulva
Die Vulva wird nicht nur in unserer Sprache oft vernachlässigt – viele wissen gar nicht, was der Unterschied zwischen Vulva und Vagina überhaupt ist.
Die Vagina – ist von außen zunächst nicht sichtbar, das schlauchförmige Organ, das zur Gebärmutter führt
Die Vulva – ist der von außen sichtbare Teil, die Schamlippen, die Klitoris und der Venushügel
Die Vulva ist in der Öffentlichkeit oft unsichtbar, sie ist in mancher Hinsicht ein echtes Tabu-Thema, es wird nicht über sie gesprochen und man sieht sie auch nie. Ganz im Gegensatz zum Penis, der sogar an Hauswände oder öffentliche Toiletten gemalt wird. Die Vulva ist mit einem gewissen Stigma belastet – Frauen schämen sich oft für sie, empfinden sie sogar als hässlich. Wie soll man auch wissen, dass “da unten” alles ganz normal aussieht, wenn man zum Vergleich nur die vermeintlich perfekten Vulven aus Pornos kennt? Immer mehr Frauen lassen sich die Schamlippen chirurgisch verkleinern, sie unterziehen sich einer Labioplastik. Verrückt oder? Dass sich der gesellschaftliche Druck perfekt und schön zu sein, sogar auf unsere intimsten Bereiche ausgebreitet hat?
Die Sängerin Janelle Monae setzt mit ihrem Musikvideo des Songs “PYNK” ein Statement: Sie trägt eine rosafarbene Hose mit großen Volants, die stark an Schamlippen erinnert. Damit möchte sie ein Zeichen setzen und sich für mehr Selbstliebe, Gleichberechtigung und “Pussy Power” einsetzen. Auch im Video zu sehen: eine Unterhose mit der Aufschrift “I grab back” – eine Anspielung an Trumps sexistische Kommentare?
Noch mal zusammen gefasst: Body Positivity setzt sich für mehr Liebe zu uns selbst und unserem Körper ein. Die Bewegung bringt uns bei, unsere Makel zu akzeptieren – ganz egal, ob es sich um zu viele Kilos auf der Hüfte, eine große Nase, unreine Haut oder gar zu große Schamlippen handelt.
Natürlich gibt es auch viele Männer, die unter den Zwängen des Patriarchats und den Regeln der Gesellschaft leiden, doch darum wird es im nächsten Teil dieser Kolumne gehen.