Kalorienzählen, Sport und trotzdem kein Erfolg auf der Waage? Das könnte einen einfachen Grund haben: die Genetik. Was die mit dem Gewicht zu tun hat, verrät Dr. Daniel Wallerstorfer im Interview.
The Curvy Magazine: Dr. Wallerstorfer, Sie sind Biotechnologe, Nutrigenetiker & Gründer von Novogenia. Können Sie uns erklären, inwieweit die Genetik mit möglichem Übergewicht zusammenhängt?
Dr. Daniel Wallerstorfer: Experten schätzen, dass 60-80 Prozent des Übergewichts genetische Ursachen hat. Man ist also zum großen Teil nicht selbst schuld daran, was viele freut, zu hören. Es gibt sehr seltene Gendefekte, welche schweres Übergewicht auslösen. Die meisten von uns werden aber von häufig vorkommenden Gendefekten beeinflusst, die es nur etwas schwieriger machen, das Gewicht zu halten. Das sind die Gendefekte, die uns alle betreffen und auf die wir uns konzentrieren. Nur ein defektes FTO-Gen zu haben, erklärt zum Beispiel schon drei Kilogramm des Übergewichts. Allerdings ist eine Genanalyse zur bloßen Neigung zu Übergewicht wenig sinnvoll, da ein Schritt auf die Waage genauere Informationen liefern würde. Was wirklich interessant ist und durch eine Genanalyse herausgefunden werden, kann sind individuelle Eigenschaften wie:
- Nehme ich nur durch Fette oder nur durch Kohlenhydrate zu?
- Ist Sport oder eher weniger Essen die effektivere Strategie bei mir?
Diese liefern uns brauchbare Informationen, wie wir mit dem Wissen umgehen und damit unser Ziel leichter erreichen können.
Viele Menschen leiden unter Heißhunger-Attacken. Woher kommen diese und wie schafft man es, sich dagegen zur Wehr zu setzen?
Heißhunger-Attacken entstehen häufig durch Blutzuckerschwankungen, die nach dem Verzehr schnell verfügbarer Kohlenhydrate auftreten. Auch eine zu geringe Kalorienzufuhr oder eine Ernährung mit wenig Proteinen und gesunden Fetten kann das Hungergefühl verstärken. Schlafmangel beeinflusst die Hormone Ghrelin und Leptin, wodurch der Appetit steigt, während Stress oder emotionale Faktoren das Verlangen nach süßen und fettigen Lebensmitteln fördern. Zudem können ein Ungleichgewicht in der Darmflora oder Mängel an Mikronährstoffen wie Magnesium und Zink Heißhunger begünstigen. Allerdings spielen auch hier die Gene eine entscheidende Rolle. Sie steuern, wie intensiv unser Hungergefühl ist und wie lange unsere Sättigung anhält. Es ist uns also in die Wiege gelegt, wie empfindlich wir auf Hunger sind. Lösen kann man das ganz einfach mit der richtigen Strategie. Langsam aufnehmende Kohlenhydrate verhindern eine Achterbahnfahrt von Blutzucker, Insulin und die dadurch entstehenden Heißhungerattacken. Protein ist ein lang anhaltender Hunger-Unterdrücker und das Aufteilen von drei großen Mahlzeiten auf mehrere Kleine hilft mit genetisch intensiven Hunger besser umzugehen.

Sie haben unter anderem “Shape Plus” entwickelt. Was genau verbirgt sich dahinter und warum könnte die Analyse dabei helfen, einen gesunden Weg einzuschlagen?
Die Analyse untersucht genau die Gene, die beeinflussen, welche Kalorien bei mir zu Übergewicht führen. Manche Menschen sind vollkommen resistent auf zum Beispiel Fett, aber nehmen durch Kohlenhydrate zu. Andere sind genau andersherum. Außerdem ermitteln wir, wie gut Sport oder weniger Essen zu besseren Ergebnissen führen – das ist je nach Genen unterschiedlich. Wir schauen auch, wie intensiv das Hunger- und Sättigungsgefühl ist und ob der Jo-Jo Effekt danach gleich wieder zuschlägt. All diese Informationen erlauben uns, genau auf die angeborenen Stärken einzugehen und die Schwächen zu meiden. Ich nehme mich selbst als Beispiel: Ich bin fettempfindlich, aber resistent gegen Kohlenhydrate. Bedeutet: Eher Pasta als Steak… was für mich einfach umzusetzen ist. Sport ist meine angeborene Superkraft zum Abnehmen, weniger essen, also hungern ist hingegen eine Strapaze, die mir wenig bringt. Meine Frau ist hingegen fast das komplette genetische Gegenteil. Bei ihr gilt: wenig Kohlenhydrate, ein leichtes Sportprogramm reicht, da es eh wenig Ergebnisse bringt und der Fokus liegt auf einer Kalorienreduktion. Wir beide sind schlank, nur eben durch unterschiedliche Maßnahmen.
Wie genau funktioniert der Test und was gibt es dabei zu beachten?
Die Analyse basiert auf einer Speichelprobe, die man zuhause sammeln und an das Labor senden kann. Im Speichel sind alle Gene des Körpers gespeichert, es ist also genau so gut wie Blut oder andere Gewebeproben. Wir analysieren dann die Gene und gleichen die Ergebnisse mit der aktuellen Wissenschaft ab. Das Booklet, das mehr als 200 Seiten umfasst, wird als hochqualitatives Buch gedruckt und per Post zugeschickt. Das ist praktisch die Bedienungsanleitung für den eigenen Körper. Die zweite Analyse, die im Paket enthalten ist, befasst sich nicht mit Übergewicht, sondern mit der Frage, was eigentlich gesund für mich ist? Einfache Beispiele sind die Laktose- und Gluten-Intoleranz. Beides sind genetische Intoleranzen. Man erfährt welche Lebensmittel gesund für einen sind und welche Nährstoffe der Körper in welcher Dosis braucht. Diese Zusammensetzung können wir dann sogar für jeden einzeln zusammenmischen. Man erhält dann kleine Beutel mit seinem Namen drauf, den man jeden Tag einnimmt, um versorgt zu sein. Das gute ist, dass die beiden Genanalysen, die sonst ca. €600 kosten würden, kostenlos sind, wenn man das Nahrungsergänzungs-Abo beginnt. So ist man für die Kosten eines halben Starbucks Kaffees pro Tag bestens und dauerhaft versorgt.
Nach der Auswertung des Tests erfahre ich mehr über meine Gene. Aber lassen sich diese überhaupt reparieren?
Im Moment können wir nur die Probleme der Gene ermitteln und dann die Umwelt ändern. Das ist aber schon eine sehr mächtige Strategie. Ist man genetisch Laktoseintolerant, kann man das (noch) nicht reparieren. Ändert man allerdings seine Ernährung auf Laktosefrei, ist man vollkommen beschwerdefrei. Der Fokus liegt also darauf, wie man seine genetischen Schwächen durch Umstellung der Ernährung und des Lebensstils kompensieren kann.
Was ist Ihr persönlicher Tipp, um gesund zu bleiben oder zu werden?
Lernen Sie mehr über Ihren Körper. Nur durch Daten lässt sich das Individuum einschätzen. Es gibt auf Social Media viele Ernährungstipps, aber die Realität ist: Jeder ist anders und diese Tipps sind nur für den Durchschnittsmenschen gedacht. Diesen gibt es aber nicht, denn jeder ist einzigartig.