Sind wir dicken Mädels wirklich benachteiligt beim Daten und stecken wir nicht potentielle Kandidaten und uns selbst gerne in eine Schublade?
Dieser Frage geht unsere neue Kolumnistin Tanja Marfo in ihrem ersten Artikel nach und nimmt uns mit auf ihre Reise zu einem entspannten Datingverhalten.
„Du sitzt am Singletisch“, höre ich meine Freundin sagen, als ich bei ihrem runden Geburtstag meinen Platz suche. Mit einem Zwinkern sagt sie mir, dass dort hinten ein paar nette Herren sitzen. Na super, denke ich mir. Wie früher bei Familienfeiern werde ich jetzt am Singletisch platziert, dem Kindertisch für Erwachsene. Öffentliche Demütigung geht in modernen Zeiten also so. Na herzlichen Dank – nicht!
Ich nehme meinen zugewiesenen Platz ein und werde fünf weiteren Menschen vorgestellt, die genau so Bock auf diesen Tisch haben wie ich.
„Der eine ist genau dein Typ, wirklich dein Beuteschema“, flüstert mir meine Freundin ins Ohr und stellt mir zwei Single-Männer vor. „Best Wedding Material“ sozusagen. Ich atme durch. Darauf habe ich jetzt eigentlich so gar keine Lust. Immer diese Verkupplungsversuche im Freundeskreis.
Ich bin eine unabhängige, starke Frau und das ist gerade gar nicht so schlecht. Ich habe mir mein Singledasein so schön eingerichtet und denke gerade jetzt wehmütig am mein 180x200cm großes, gemütliches Boxspringbett, Wein und meinen liebsten Streamingdienst-Anbieter.
Wein, Käse und Chill – so einfach könnte das Leben jetzt sein. Ich bekomme Sehnsucht und möchte am Liebsten gehen. Aber hilft ja nix, denn die beste Freundin ist nunmal einer der wichtigsten Menschen für mich und da muss ich jetzt durch! Tschakka, du schaffst das!
Gesagt, getan. Ich scanne die Herren mit ein paar Blicken, begrüße die drei Ladies und komme als erstes mit Stefan ins Gespräch, (Namen sind von der Verfasserin völlig frei erfunden). Er handelt mit Rohstoffen, hat einen Hipster-Bart, trägt einen schicken Boss-Anzug und eine protzige Uhr. Er definiert sich wie ich sehr über seinen Job und ist das typische Alfa-Männchen. Seine schrillen bunten Socken, die viele kleine bunte Bücher zieren, kommen mir wie eine leise Rebellion vor.
„Der würde niemals was mit einer dicken Frau anfangen“, denke ich mir und nehme an, dass eine Frau an seiner Seite eher ein nettes Accessoire ist.
Okay, der würde seinem Lieblingsmenschen vielleicht eine Gucci Tasche kaufen (das Accessoire nehme ich gerne) und seiner geliebten einen Mercedes SLK. Der geht bestimmt in Swinger Clubs und hat an jedem Finger eine andere. Ich sehe, wie sehr er auf sein Äußeres bedacht ist und finde eine Unterhaltung mit ihm zwar witzig (der hat echt Humor), aber sein Ego ist so groß, wie das von Herrn Trump. Und den kann ich so gar nicht leiden. Stefan redet von Bilanzen, seinem Job, der vielen Verantwortung seinen Mitarbeitern gegenüber und lässt mich kaum zu Wort kommen. Ist das anstrengend! Etwas turnt mich wirklich ab und ich nicke höflich, während ich erneut an meinem trockenen Rotwein nippe.
So langsam merke ich, dass eine wohlige Schwere einsetzt und ich schaue rüber zum „Mallorca-Tisch”. Dort ist auf jeden Fall Stimmung und alle Anwesenden lieben nicht nur Schlager, sondern vor allem alkoholische Getränke jeglicher Form. Dort wird gebechert was das Zeug hält.
Ich wette, die tanzen später auf dem Tisch zu Helene Fischer. Spätestens dann muss ich den Raum schlagartig verlassen und nie wieder zurückkommen. Ich leide unter einer akuten Allergie was Schlagermusik angeht und kann, dank meines Papas, trotzdem jeden Andrea Berg Song mitsingen. Wer weiß schon, warum unser Gehirn dieses unnütze Wissen speichert.
Doch zurück zu meinem Tisch. Michael ist neben mich gerückt und wir haben gemerkt, dass wir beide gerne reisen. Praktischerweise arbeitet er bei einem großen Flugzeugbauer in Hamburg und muss nur zehn Prozent des Ticketpreises zahlen. Herrlich! Ich sehe mich schon verreisen, Business Class für Lau! Nehme ich.
Michael ist der Schwiegersohn-Typ, den würde meine Mutter mögen. Solide, nett, bodenständig, gesellig, fleißig, mit beiden Beinen im Leben stehend. Mama, du würdest den richtig toll finden. Endlich mal ein ganz normaler Mann, der deinen Wildfang von Tochter bändigen kann.
Michael ist wirklich süß und leider so wortkarg wie eine Scheibe Brot. Er lässt sich alles aus der Nase ziehen. Nur seine Leidenschaft für Fische und sein neuer, umgebauter Bulli lassen seine Augen leuchten. Menschen, die eine Leidenschaft haben begeistern mich, nur leider sind seine Interessen für mich so interessant wie der besagte Sack Reis in China.
Ich weiß leider genau, was ich möchte und was nicht. Für Camping bin ich zu alt, ich mache das nicht mehr mit. Been there, done that! Ich bin 40 und keine 15 Jahre alt mehr. Auch ein eigens umgebauter Bulli ist für mich spätestens nach drei Mal drin schlafen zu unbequem. Das kann man mal machen, aber auf Dauer ist es für mich keine Option. Das kann auch der schönste Sternenhimmel nicht wett machen. Ich unterhalte mich noch eine Weile mit Michael und bin bald bereit zu gehen. Der Rotwein wirkt.
Der heutige Abend war schön, doch ich sehne mich langsam nach meinem zuhause, meinem Rückzugsort. Im Stillen habe ich mir oft ausgemalt, dass ich irgendwann am Katzentisch sitze mit meinen zehn Kitties und einem frechen, kupferfarbenen Chihuahua namens Fluffy.
Hunde und Katzen geben einem sicher oft mehr zurück als ein x-beliebiger Mann. Wie oft war ich kurz davor mir einen Hund zu kaufen.
Am Katzentisch werde ich nur dann enden, wenn ich an der Idee festhalte, dass der richtige Mann erst noch für mich gebacken werden muss. Es ihn quasi gar nicht gibt. Ich musste 40 werden, um aus vollstem Herzen zu wissen, was ich mag und was nicht. Ich brauche heute nicht irgendwen der mich liebt, nur damit ich nicht alleine bin. Diese Angst des Alleinseins ist seit meiner letzten Trennung von vor über anderthalb Jahren vorbei. Ich bin das erste Mal so lange Single und finde das gerade nicht schlimm. Ich glaube nicht mehr an Liebe auf dem ersten Blick, das ist für mich im ersten Moment nur Anziehung und Begierde, Leidenschaft und Lust. Was wirklich grandios ist! Aber meistens nicht mehr.
Wahre Liebe ist etwas was sich aufbaut und irgendwann in Vertrauen umschlägt. Liebe zu spüren ist wundervoll – ein irres Gefühl. Diese ersten Schmetterlinge sind so großartig. Liebe brauchen wir alle, und dennoch sollten wir uns vom zu viel Brauchen lossprechen. Ein Partner kann eine wundervolle Ergänzung sein für dein bereits vorhandenes, liebevolles Leben. Liebe zu erhalten ohne stets bedürftig zu sein ist die beste Kombination für mich.
Während meine Gedanken abschweifen und ich im Begriff bin zu gehen, steht Stefan auf einmal an der Bar neben mir. Ich frage höflich und leicht angeschwipst, ob er denn gerne liest, weil auf seinen Socken viele kleine Bücher seien und er antwortet mir, dass er Bücher, gepaart mit Intelligenz ziemlich sexy findet. So ähnlich ist auch der Text in meinem Tinderprofil. Hmm…
Außerdem würde er in seiner Freizeit im Altenheim vorlesen, in dem seine Oma früher war. Er hat wirklich eine schöne tiefe Stimme – warum habe ich das vorher nicht bemerkt? Und er würde sehr gerne Synchronsprecher sein. Würde seine Freizeit es zulassen, würde er diese Leidenschaft gerne vertiefen.
Auf einmal steht mir also dieser Mann gegenüber, den ich vorschnell als oberflächlich und egoistisch abgestempelt habe. Ich ertappe mich dabei, dass ich selbst mit Vorurteilen zu kämpfen habe, und ihn eiskalt abgestempelt hatte. Wie egoistisch und voreingenommen von mir.
Er gibt mir seine Nummer und sagt, dass er gerne mal einen Kaffee mit mir trinken möchte. „Zum Schnacken und so.“
Spätestes jetzt bin ich irritiert und fühle ich mich schrecklich. Dieser Mann, der seine knappe Zeit ehrenamtlich im Altenheim verbringt, und wohl ein Herz aus Gold haben muss, hat also doch mehr als Bilanzen und protzige Anzüge im Kopf. Zu schnell habe ich mir ein Urteil erlaubt.
Als Stefan weg ist und Helene ihren Einsatz hat gebe ich meiner Freundin einen dicken Kuss und sage ihr Ciao. Sie habe ich heute kaum gesprochen, aber sie wird es mir nachsehen.
„Na, ich wusste doch, dass der Stefan dein Typ ist“ – grinste sie als wir uns verabschieden. Ich stehe neben mir und dachte, sie wollte mir den bodenständigen und etwas wortkargen Michael andrehen.
„Stefan ist der Mann mit dem Herz aus Gold, einer Passion und ganz viel Drive. Der passt wie die Faust aufs Auge. Und der mag Frauen mit mehr.“
Dieses Ereignis zeigte mir damals, dass ich zu vorschnell urteile und den Menschen in den Fokus stellen sollte. Im Umkehrschluss kann ich sagen, dass wir dicken Frauen viel zu oft auf Ablehnung und negative Erlebnisse gepolt sind. Wie oft habe ich bei Dates damit gerechnet, dass ich zurückgewiesen werde aufgrund meines Gewichts. Als ich diese Blockade in meinem Kopf lösen konnte, habe ich mir kaum mehr Gedanken gemacht, was mein Gegenüber von meinen Kilos denke könnte. Plötzlich waren Dates keine verzweifelten Treffen mehr, bei denen ich nach Bestätigung suchte, sondern tolle Abende, Spaß und wirklich gute Konversationen.
Ich weiß, dass mein zukünftiger Mann irgendwo da draußen ist, und mich finden möchte. Ich gehe nicht mehr so hart mit Körben um, und (das ist heute noch neu für mich), verteile selbst Absagen, wenn ich das Gefühl habe, dass es nicht passt. Ich höre mehr auf mich und weiß, was mir guttut. Camping gehört definitiv nicht dazu, da bleibe ich mir selbst treu. Sorry Michael!
Und auch wenn ich am Ende dieser wahren Geschichte kein Happy End für euch habe, so sind Stefan und ich heute gute Freunde, die einander sehr schätzen und unterstützen.
Drei Fakten zu Tanja:
- Sie ist die Gründerin der Plus Size Fashion Days.
- Sie betreibt den Blog “Kurvenrausch”.
- Sie ist Mutter von einem Sohn.
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