“Einfach zeigen, dass Sie da sind” – So steht ihr Menschen, die unter einer Depression leiden, bei.
Viele Menschen leiden unter einer Depression, weltweit gibt es rund 350 Millionen Erkrankte. Doch was tun, wenn die beste Freundin sich plötzlich distanziert, nicht mehr auf Nachrichten oder Anrufe reagiert? Armin Rösl, Sprecher der Deutschen Depressionsliga, klärt auf und gibt Tipps.
the Curvy Magazine: Herr Rösl, meine Freundin wirkt lethargisch, traurig, pessimistisch und zieht sich zurück. Wie kann ich helfen?
Armin Rösl: Nehmen Sie die Freundin an der Hand und gehen Sie mit ihr spazieren. Vermutlich wird sie das Haus nur ungern verlassen. Sagen Sie ihr deswegen nicht direkt ins Gesicht: „du musst mal raus hier!“ – dann läuten bei der Betroffenen vielleicht die Alarmglocken. Sagen Sie einfach „ach, heute ist so schönes Wetter, ich würde gern spazieren gehen“. Lassen Sie ihr aber gar nicht groß die Wahl, denn sonst wird sie wahrscheinlich Nein sagen.
Ein Spaziergang reicht also schon aus?
Das ist zumindest ein Anfang. Dann kann man vielleicht ein Gespräch einleiten mit, „Mensch, mir ist aufgefallen, dass du in letzter Zeit gar nicht mehr die Musik hörst, die du sonst immer hörst, sondern eher traurige Musik. Hast du eine neue Band gefunden, oder warum ist das so?“ Also versuchen, über Umwege reinzugehen und nicht gleich das Thema anzusprechen.
Die Corona-Pandemie macht es gerade nicht besonders leicht, Hilfe zu bekommen oder sich mit Menschen zu treffen.
Ja, es ist tatsächlich schwierig, während des Lockdowns raus zu gehen. Aber es gibt immer noch die Möglichkeit, mit Freunden zu telefonieren. Und auch Therapiestunden können per Videoanruf stattfinden. Außerdem gibt es einige Apps, die man sich runterladen kann. Diese geben Tipps, wie man durch die Depression kommen kann.
Eine andere Freundin meldet sich manchmal wochen- oder monatelang nicht und reagiert nicht auf Nachrichten. Soll ich einfach abwarten oder bei ihr vorbei gehen, an der Tür klingeln und sie aus ihrem Schneckenhaus rauslocken?
Ja, das würde ich machen. Der Betroffene wird von selber nicht kommen. Schreiben Sie erst einmal Nachrichten per WhatsApp, um zu zeigen: ja, ich bin noch da. Es ist wichtig, die Gratwanderung hinzubekommen. Man sollte nicht zu aufdringlich sein, aber auch nicht das Gefühl geben, sich gar nicht mehr zu kümmern. Und wenn Sie persönlich dann mal das Gefühl haben, „Mensch, jetzt habe ich sie so lang nicht gesehen“, dann überraschen Sie sie tatsächlich und klingeln bei ihr.
Was heißt denn „zu aufdringlich“?
Sätze wie „Das wird schon wieder!“ oder „Jetzt reiß dich halt zusammen!“ sind wahrscheinlich gut gemeint, aber in einer schweren depressiven Phase lösen sie beim Betroffenen nur ein Gefühl aus: „Scheiße! Ich schaffe es aber nicht, mich zusammenzureißen“. Sie fühlen sich, als würden sie die Erwartungen ihres Gegenübers enttäuschen.
Was kann ich tun, wenn meine Freundin eine Panikattacke hat?
Einfach zeigen, dass Sie da sind. Nehmen Sie sie an die Hand, drücken Sie sie ganz fest. Wichtig ist, dass man einen anderen Reiz setzt. Damit die betroffene Person abgelenkt wird. Es gibt auch kleine Tricks, die helfen. Wie zum Beispiel schnell ein Fisherman‘s Friend lutschen oder einen Eiswürfel, wenn einer in der Nähe ist.
Und wenn ich merke, dass die Freundschaft mich selbst stark belastet?
Die Deutsche Depressionsliga hat für Angehörige einen Leitfaden herausgegeben, da kann man sich einlesen. Man kann auch in Selbsthilfegruppen gehen und sich dort Tipps holen. Wenn man merkt, dass keinerlei Hilfe angenommen wird und dass es einem selbst zu viel wird, sollte man unbedingt professionelle Hilfe in Form eines Arztes holen und sich selbst erstmal distanzieren – ohne aber ein schlechtes Gewissen zu bekommen!
Meine Freundin denkt, sie sei ein schlechter Mensch und alle anderen wären ohne sie besser dran. Was kann ich dagegen tun?
Erstmal nicht viel. Sie können Sie motivieren, etwas anderes zu denken. Aber Sie können ihr noch hundertmal sagen, „nein das stimmt nicht“ – wenn sie tief in der Depression ist, wird sie es nicht glauben. Was Sie tun können, ist sie ablenken, sie rausholen, damit sie auf andere Gedanken kommt. Umso öfter das funktioniert, desto größer ist die Chance, dass sie aus diesem Gedanken-Karussell herauskommt.
Kann man denn von einer Depression geheilt werden?
Die Ärzte behaupten das und ich würde auch sagen, dass ich geheilt bin. Zumindest von der schweren, großen Phase. Kleine Einschnitte gibt es immer mal wieder, aber ich weiß damit umzugehen. Ganz wichtig ist die Botschaft: Depressionen sind behandelbar!
Armin Rösl erkrankte vor 10 Jahren selbst an einer schweren Depression. Als ihn Suizidgedanken nicht mehr losließen, wies er sich selbst für sechs Wochen in eine psychiatrische Klinik ein. Heute gilt er als geheilt, arbeitet wieder als Journalist und lebt zusammen mit seiner Frau und seinen drei Söhnen. Als Sprecher der Deutschen Depressionsliga klärt der 47-Jährige auf und geht gegen die Stigmatisierung der Krankheit vor.